Doppelresidenz

Unter Doppelresidenz versteht man allgemein, dass beide Eltern sich nach der Trennung die Betreuung des Kindes zu annähernd gleichen Teilen teilen. Beide betreuen das Kind sowohl im Alltag als auch in der Freizeit. Das Kind lebt in beiden Haushalten zu annähernd gleichen oder sogar gleichen Teilen. Auch die Ferienzeiten werden in gleichem Maße aufgeteilt. Bei annähernd gleichem Einkommen (weniger als 30% Einkommensunterschied) wird kein Kindesunterhalt fällig.

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Voraussetzungen für ein gutes Gelingen der Doppelresidenz

  • Beide Eltern haben sich bereits vor der Trennung in gleichem Ausmaß um das Kind gekümmert
    Eine Trennung belastet Eltern und Kinder. Wichtig ist dabei, dass die Beziehung zur Hauptbindungsperson auch nach der Trennung in gleichem Ausmaß erhalten bleiben kann. Wie stark die Bindung zu den beiden Elternteilen ist, hängt von vielen Faktoren ab, allen voran von der Zeit, die der jeweilige Elternteil dem Kind aktiv und direkt widmet. Deshalb wurde in Österreich Jahrzehnte lang nach dem Kontinuitätsprinzip entschieden: Es entspricht dem Kindeswohl, dass das Kind weiterhin von der Hauptbezugsperson betreut wird, in der Regel ist das die Mutter. Trotz vieler Maßnahmen zur Erhöhung der Väterbeteiligung wie dem Papamonat, der Möglichkeit zur Aufteilung der Karenzzeiten und der Möglichkeit zur Elternteilzeit für beide Elternteile hat sich die Rollenverteilung in den meisten Familien nicht verändert. Die Väter nehmen nur die Mindestdauer an Karenz/Kinderbetreuungsgeld in Anspruch und fast nie Elternteilzeit. Im Gegenteil: Die meisten Väter erhöhen sogar ihr Arbeitsausmaß und leisten vermehrt Überstunden. Kinder brauchen einen verlässlichen Bezugsrahmen und ein sicheres Zuhause. Deshalb muss das Kontinuitätsprinzip gewahrt werden und es darf nicht erst ein plötzliches Interesse am Kind im Rahmen der Trennung ausschlaggebend sein.
  • Beide Elternteile und das Kind müssen die Doppelresidenz wollen
    Für ein gutes Gelingen der Doppelresidenz müssen alle Beteiligten, also nicht nur beide Elternteile, sondern auch das Kind dieses Modell leben wollen. Dabei ist es wichtig, das Kind von Anfang an altersgerecht in die Entscheidung einzubinden. Dem Kind muss bewusst sein, dass die aufgeteilte Betreuung bedeutet, dass es (außer beim Nestmodell) zwei zuhause haben wird und dass es regelmäßig den Wohnort wechseln wird. Auch die praktischen Konsequenzen wie das Vergessen von Schulsachen bei Schulkindern oder Kleidungsstücken und Sportgeräten muss schon im Vorhinein bedacht und besprochen werden. Auch wo die Dokumente des Kindes wie Pass, Geburtsurkunde oder Zeugnisse verwahrt werden, muss einvernehmlich gelöst werden.Die starke Verschränkung der Betreuung bedeutet auch, dass beide Elternteile miteinander im täglichen Leben eng verbunden bleiben. Sie müssen häufig kommunizieren, sie müssen miteinander verhandeln, Kompromisse eingehen und gemeinsame Lösungen im Sinne des Kindes finden. Dies bedeutet auch eine große Macht über den/die Ex-Partner*in: Ferienzeiten können verhindert werden, das Privatleben beeinflusst werden, ständig fließen Infos über das Privatleben zum/zur Ex-Partner*in. Die Möglichkeiten zur Macht- und Kontrollausübung sind also fast unendlich. Eine toxische Beziehung oder ein schlechtes Einvernehmen kann durch die Doppelresidenz zur Traumatisierung über die Trennung hinaus führen.Die Doppelresidenz darf deshalb nicht gegen den Willen des Kindes oder gegen den Willen eines der Elternteile beschlossen werden. In strittigen oder hochstrittigen Trennungen sollte eine Doppelresidenz ausgeschlossen sein.
  • Beide Elternteile haben ein annähernd gleiches und sehr hohes Einkommen
    Da in diesem Betreuungsmodell erst ab einem Einkommensunterschied von mindestens 30% Kindesunterhalt angedacht ist und selbst dann nur in geringem Ausmaß, sollte garantiert sein, dass das Kind in beiden Haushalten ein annähernd gleiches Lebensniveau vorfindet. Vor allem sollten Mindeststandards bezüglich Ausstattung in beiden Haushalten gegeben sein. Dies bedeutet sehr hohe Kosten in beiden elterlichen Haushalten, denn statt der vormals gemeinsamen Wohnung müssen nun zwei annähernd gleichgroße Wohnungen bezahlt werden, in denen das Kind jeweils seinen eigenen Platz hat: zum Beispiel ein Kinderzimmer. Außerdem ist oft eine doppelte Ausstattung nötig, denn das Kind kann nicht bei jedem Betreuungswechsel seine Koffer mit dem gesamten Hab und Gut packen. Beim Nestmodell wird zwar die doppelte Ausstattung gespart, aber hier sind sogar drei Wohnungen nötig (je eine für die Elternteile und eine für das Kind).Da in heterosexuellen Beziehungen die meisten Männer allerdings nur kurz in Karenz waren, wenn überhaupt und auch danach nicht in Elternteilzeit waren, sind es immer noch die Frauen, die die unbezahlte Care-Arbeit auf Kosten ihrer Karriere leisten. Studien belegen, dass der Karriereknick, den sie dabei hinnehmen müssen, im späteren Berufsleben nicht mehr aufzuholen ist. Gemeinsam mit dem Gender-Pay-Gap haben die meisten Mütter somit einen deutlich geringeren Stundenlohn als die Väter. Selbst, wenn sie Vollzeit beschäftigt sind, leben Mütter nach der Trennung oftmals in Armut oder Ausgrenzung. Die meisten finanziellen Beihilfen sind außerdem an die Hauptmeldung im Melderegister gebunden. Im Fall der Doppelresidenz, insbesondere mit der gemeinsamen Obsorge, kann es bei Uneinigkeit dazu kommen, dass das Kind nicht beim armutsbetroffenen Elternteil gemeldet ist. Das armutsbetroffene Elternteil kann bei den Einkommensgrenzen und der Höhe der Beihilfen, das Kind also nicht wie tatsächlich der Fall, als dem Haushalt zugehörig angeben. Gleichzeitig könnten bei einer Hauptmeldung an den Wohnadressen beider Eltern Beihilfen doppelt für dasselbe Kind bezogen werden, was eine Ungleichbehandlung der Kinder des Residenzmodells nach sich ziehen würde.Die Doppelresidenz sollte nur unter der Bedingung möglich sein, dass die Kinder nicht in Teilzeitarmut leben müssen, zum Beispiel durch Ausgleichszahlungen für die in der Vergangenheit unbezahlt geleistete Care-Arbeit und für den Karriereknick. Die Finanzierung der Doppelresidenz darf auch nicht zu Lasten der Steuerzahler*innen gehen, insbesondere, solange die Unterhaltsgarantie für Alleinerzieher*innen im Residenzmodell nicht umgesetzt ist. Über die Hälfte der Kinder von Alleinerzieher*innen leben bereits jetzt in Armut oder Ausgrenzung!
  • Aufklärung beider Elternteile und der Kinder über die Folgen der Doppelresidenz
    Nur wer gut informiert ist, kann sinnvolle Entscheidungen treffen. Die Entscheidung zur Doppelresidenz hat weitreichende Folgen für alle Beteiligten. Das kann von der Möglichkeit zur Anrechnung der Kinderbetreuung auf die Pensionszeiten gehen, bis zur Möglichkeit der Beantragung von Förderungen und Beihilfen, der steuerlichen Absetzbarkeit oder dem Verlust derselben, bis hin zu Anspruchsverlusten von Rechten, wie zum Beispiel der Wohnungsgröße bei Gemeindewohnungen, etc.. Auch die Kinder müssen sich im Klaren sein, dass abgesehen von der gemeinsamen Obsorge, auch das Betreuungsmodell Konsequenzen für sie hat. Auch wenn die Eltern ihren Wunsch anhören sollten, so sind es letztlich die Eltern, und im Konfliktfall der kleinste gemeinsame Nenner, der entscheidet. Nicht jede Elternbeziehung, die nach der Trennung einvernehmlich ist, bleibt gut und kooperativ. Konflikte, wie zum Beispiel die Übernahme von Ferienzeiten, wo das Kind wo welche Feiertage verbringt, müssen oft gegen den Willen des Kindes geführt werden.

    Wenn eine Doppelresidenz einvernehmlich vor Gericht beschlossen wird, sollte dies nur nach vorheriger, umfassender Aufklärung aller Beteiligten über die Auswirkungen, ihre Rechte und ihre Pflichten geschehen!

  • Gerechte Aufteilung des Mental Load unter den beiden Elternteilen
    Ein Kind großzuziehen bedeutet nicht nur, es zu beaufsichtigen und mit ihm zu spielen, es muss umfassend versorgt werden. Dazu zählen zum Beispiel die Organisation und Begleitung zu Ärzt*innenbesuchen, die Organisation von Geburtstagsfesten, Besorgungen des täglichen Lebens wie der Kauf von Schulsachen und Kleidung, aber auch die Organisation von Freizeitaktivitäten wie die Suche und Anmeldung in Sportvereinen. Diese Aufgaben zählen zum „Mental Load“. Damit das Aufwachsen des Kindes bei beiden Elternteilen gelingen kann, sollte unter den Eltern Einigkeit darüber herrschen, wie das Kind erzogen werden soll und wer welche Aufgaben wann übernimmt. Die Aufgabenverteilung sollte ebenso wie die Betreuungszeit gerecht unter beiden Elternteilen verteilt werden.
  • Sehr gute Kooperationsfähigkeit und der Wille zur Zusammenarbeit unter den ElternDie Aufteilung des Mental Load und der Betreuung bedeuten ein sehr hohes Maß an Kommunikation unter den beiden Elternteilen. Insbesondere während der Schulzeit müssen sich die beiden Eltern intensiv miteinander austauschen, damit das Kind optimal unterstützt ist. Fragen, wie bis wann welche Hausaufgabe fertig zu stellen ist, wann für welchen Test zu lernen ist oder wer welche Termine unterschreibt, sind ständig zu klären. Auch das Freizeitprogramm des Kindes muss so gestaltet werden, dass es mit der Berufstätigkeit beider Eltern vereinbar ist. Damit das Betreuungsmodell gelingen kann, müssen beide Elternteile nicht nur den Willen zur Zusammenarbeit und zu Kompromissen haben, sie müssen auch eine hohe Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit an den Tag legen.
  • Beide Elternteile müssen gewillt sein, in der Nähe zu wohnenKindergarten und Schule sollten in der Nähe des Wohnortes beider Eltern liegen. In Österreich ist für die Aufnahme in Kindergarten und Schule meist die Nähe des Wohnortes ausschlaggebend. Damit das Kind nicht zur Teilzeitpendler*in wird und auch die Freizeitaktivitäten, wie Treffen mit Freund*innen durchgängig möglich sind, ist es nötig, dass beide Eltern bereit sind, in der Nähe zu wohnen.
  • Beide Eltern müssen dazu bereit sein, das Betreuungsmodell zu wechselnLebensumstände sind ständigen Änderungen unterworfen. Das gilt sowohl für die Eltern als auch insbesondere für die Kinder: Ihre Bedürfnisse sind starken Änderungen beim Heranwachsen unterworfen. Dies kann auch die Bedürfnisse bezüglich der Betreuung betreffen. Deshalb sollten beide Elternteile dazu bereit sein, das Betreuungsmodell im Laufe der Zeit zu ändern, falls das nötig wird oder vom Kind so gewünscht wird.
  • Keine Doppelresidenz bei Gewalt gegen Mutter oder Kind
    Gewalt in jeder Form (psychisch, emotional, physisch, finanziell, etc.) gegen Mutter oder Kind muss nicht nur ein Ausschlussgrund für die geteilte Obsorge, sondern auch für die Doppelresidenz sein. FEM.A tritt außerdem für die sofortige Beendigung des Kontaktrechts ein, wenn die Mutter oder das Kind Gewalt erfahren mussten.

Notwendige Studien in diesem Bereich

Die Folgen eines annähernd gleichen Betreuungsausmaß von beiden Elternteilen wurden in Österreich noch kaum repräsentativ erforscht. Es fehlen grundlegende Daten, um überhaupt feststellen zu können, welche Stichprobe repräsentativ für die verschiedenen Fälle wäre. Es gibt weder eine Definition von strittigen oder hochstrittigen Trennungen noch Aufzeichnungen, wie oft welches Betreuungsausmaß beschlossen oder freiwillig gelebt wird. Auch ist nicht bekannt, wie die Betroffenen zum beschlossenen Betreuungsmodell gestanden sind, ob das Kontinuitätsprinzip gewahrt wurde und ob in beiden Haushalten ausreichend finanzielle Mitteln vorhanden waren, bzw. ob der Kindesunterhalt reduziert oder ausgeschlossen wurde.

Studien von anderen Ländern sind kaum oder nicht auf Österreich umlegbar, weil nicht nur die Kultur (Rollenverteilung, Erwartungshaltung an Mütter und Väter, Erwartungshaltung an Eltern generell), sondern auch die finanzielle Ausgangslage sehr unterschiedlich ist. So gibt es zum Beispiel in den USA, in denen die meisten Studien zur Doppelresidenz durchgeführt werden, keinen Unterhaltsvorschuss. Allerdings wird viel härter durchgegriffen, wenn der Unterhaltspflichtige keinen Kindesunterhalt zahlt. Das geht hin bis zu Gefängnisstrafen. Auch ausgabenseitig herrschen in den USA andere Verhältnisse – insbesondere Kinderbetreuungskosten und Schulkosten werden weniger stark gefördert. Der finanzielle Aspekt und ob ein oder beide Haushalte armuts- oder ausgrenzungsbetroffen sind, kann einen starken Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Betreuungsmodell haben. In der bisherigen Forschung wurde zwar das Kindeswohl insoweit miteinbezogen, dass selektive Parameter über die Kinder ausgewertet wurden (zum Beispiel Verhaltensauffälligkeiten), jedoch gehen die meisten Studien nicht auf den Kindeswillen ein. Auch die Qualität der meisten Studien ist leider unzureichend oder untersucht nur eine kleine Subgruppe an Familien in Trennung. Auch hier wurde wiederum nur bezüglich einer sehr eingeschränkten Fragestellung und in einem kleinen, geografisch begrenzten Raum untersucht. Die Aussagekraft dieser Studien ist deshalb sehr stark eingeschränkt und kann nicht auf andere Kontexte übertragen werden.

 

Wie Väterrechtler vorgehen, um die Doppelresidenz gegen den Willen der Mutter zum Standard zu machen

Auch FEM.A bekennt sich eindeutig zur freiwilligen Doppelresidenz, wenn alle oben genannten Bedingungen erfüllt sind. Für Eltern mit hohem Einkommen, die sich beide von Anfang an um die gemeinsamen Kinder gekümmert haben, die Karenzzeiten zu gleichen Teilen wahrgenommen haben und die weiterhin in Belangen der Kindererziehung gut miteinander kommunizieren und kooperieren können, ist das ein mögliches Betreuungsmodell, wenn die Kinder das ebenso leben wollen.

Eine für Kinder oder Mütter erzwungene Doppelresidenz ist allerdings ein absolutes No-Go. Insbesondere dann, wenn sich ein Elternteil, in der Regel der Vater, erst nach der Trennung um das eigene Kind kümmern will. Oft steht dahinter die Motivation des Vaters, der Ex-Partnerin keinen Kindesunterhalt zahlen zu wollen. Manche Väter sind auch davon getrieben, weiterhin Macht und Kontrolle über die Ex-Partnerin und Kind(er) ausüben zu wollen. Es geht ihnen dabei nicht um das Kindeswohl oder das Interesse am Kind. Die Voraussetzungen für ein Doppelresidenzmodell sind somit nicht gegeben. Es ist zu vermuten, dass die meisten Eltern, die ein Doppelresidenzmodell leben, nicht vor Gericht gehen, um sie zu regeln. Sie machen sie einvernehmlich und privat aus. Seit 2007 werden jährlich mehr Kinder außerhalb einer Ehe geboren als in Ehen[1]. Uneinigkeiten über den Kindesunterhalt, die Obsorge und das Kontaktrecht kommen bei unehelichen Kindern nur dann vor Gericht, wenn ein Elternteil aktiv damit zu Gericht geht. Das Einklagen einer Doppelresidenz vor Gericht sollte deshalb per se ausgeschlossen werden, denn die Voraussetzung der Zustimmung ist dabei nicht gegeben.

Trotzdem arbeiten sogenannte Väterrechtsgruppen seit Jahrzehnten daran, dass die Doppelresidenz zum Standardmodell für alle Kinder wird, unabhängig von der bisherigen Betreuung und auch unabhängig vom Willen der Kinder und der Mütter.

Wichtig zu wissen ist, dass in Österreich Väter mangels Durchsetzungsmöglichkeit nicht dazu gezwungen werden können, den Kontakt zu ihren Kindern einzuhalten, selbst wenn die Kinder das ausdrücklich wünschen und sogar einklagen. Dazu gibt es bereits mehrere OGH-Urteile. Umgekehrt werden Kinder sehr wohl gegen ihren Willen von österreichischen Familiengerichten zum Kontakt mit ihrem Vater, in begleiteter oder unbegleiteter Form, gezwungen. Hier mangelt es der Judikatur nicht an Durchsetzungsmöglichkeit: Müttern werden an Stelle ihrer Kinder zur Verantwortung gezogen und mit Strafen bedroht, wenn sie die Kinder selbst gegen deren Willen nicht zum Kontakt mit dem Vater zwingen. Selbst Beugehaft oder Strafzahlungen der Mutter werden hier als Mittel zum Zweck angewendet.

Rechtsgerichtete Maskulinisten, die sich selbst als „Väterrechtler“ bezeichnen und nicht nur international untereinander sondern auch mit anderen rechtsgerichteten Gruppen gut vernetzt sind, haben es auch in Österreich geschafft, ihre antifeministischen und frauenfeindlichen Forderungen so darzustellen, dass sie für unaufmerksame Augen der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern förderlich erscheinen. Sie fordern die Doppelresidenz und somit die Abschaffung des Kindesunterhalts unter dem Deckmantel eines modernes Rollenverständnis, um die Zahlungsunwilligkeit der Väter zu verdecken. Außerdem fordern sie die Kontaktpflicht des Kindes zu beiden Eltern unter dem Deckmantel des Kindeswohls, auch wenn das Kind das nicht wünscht, um Macht und Kontrolle über Frauen und Kindern über die Trennung hinaus auszuüben.

Diese „Väterrechtler“ haben nicht nur weltweit ein breites Netzwerk an Wissenschafter*innen geschaffen, die ihre Theorien aktiv beforschen und eine Vielzahl an Studien hervorbringen, sie bedienen sich dem Vorbild von Gruppierungen, vor allem aus den USA, einiger weniger Manipulationstechniken. Die missbräuchliche Darstellung der Studien hat zum Ziel, die Doppelresidenz als das Betreuungsmodell darzustellen, das dem Kindeswohl der Trennungskinder am meisten entspricht:

  1. Studien werden aus dem Kontext gerissen und auf andere geografische Kontexte (Länder) ohne Einschränkungen übertragen.
  2. Bei der wissentliche Falschinterpretation von Studien werden kausale Zusammenhänge hergestellt, wo es nur Korrelationen gibt.
  3. Ergebnisse für eine kleine Stichprobe mit Vorselektion werden auf die Grundgesamtheit übertragen.
  4. Definitionen und Einschränkungen der Studien werden einfach weggelassen.
  5. Wissenschafter*innen aus dem Netzwerk der Väterrechtler produzieren Metaanalysen, die die mangelhafte Qualität der zugrundeliegende Primär-Untersuchungen „verschwinden“ lassen: Die unwissenschaftlichen Primär-Untersuchungen werden in der Regel nicht mehr untersucht. Die Reputation der oder des Wissenschaftler*in, die die Metaanalyse erstellt hat, reicht um sie nicht weiter zu hinterfragen.
  6. Bezichtigung von internationalen Organisationen oder Regierungen der Lüge, ganz in der Tradition sonstiger Verschwörungstheoretiker*innen, Staatsverweigerer und rechten Netzwerke.
  7. Schaffung einer Vielzahl verschiedener Quellen (zum Beispiel einer großen Anzahl an Webseiten), die alle mit den gleichen Inhalten bestückt werden, um den Anschein der Richtigkeit zu erwecken: Wenn Studien und Inhalte von vielen Webseiten genannt und zitiert werden, gewinnen sie an Richtigkeit.
  8. Schaffung von Pseudo-Institutionen, die den Anschein einer offiziellen Institution erwecken sollen.

Als Verein haben wir alle die wichtigsten Studien, die in Österreich von Väterrechtlern zitiert werden, untersucht. Keine davon zeigt, dass die Doppelresidenz gegen den Willen der Kinder oder ohne Erfüllung der Voraussetzungen, die wir oben anführen, ein für Kinder positives Modell ist oder gar dem Kindeswohl entspräche. Im Gegenteil:

Im Rahmen der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht – Wohlergehen von Kindern in Trennungsfamilien“ der Forschungsgruppe PETRA, wurden in Deutschland im Jahr 2023 die Betreuungsmodelle eingehend untersucht. [2] Ziel der Studie war es, fundierte Kenntnisse über Kontaktrecht und Betreuungsmodelle zu erhalten, die dem Kindeswohl am besten entsprechen. Die Situation in Deutschland ist mit der von Österreich am ehesten vergleichbar, da aufgrund der gemeinsamen Rechtsgeschichte und der kulturellen Ähnlichkeit ähnliche Bedingungen bezüglich der elterlichen Verantwortung, des Unterhalts-, Obsorge-, Kontakt- und Aufenthaltsbestimmungsrechts herrschen. Zusammenfassend hat sich ergeben, dass aus wissenschaftlicher Sicht kein für alle Kinder geeignetes Modell als Standard empfohlen werden kann. Das Betreuungsmodell und die Kontaktrechtsregelung soll laut Studie weiterhin im Einzelfall entschieden werden. Die aus unserer Sicht wichtigste Erkenntnis der Studie ist der Befund, dass Vater-Kind-Beziehungen aus Sicht der Kinder bei geteilter Betreuung nicht besser ausfallen als bei der Hauptbetreuung durch die Mutter, solange regelmäßige Kontakte zum Vater bestehen.

In der Studie berichten Kinder übrigens über hochsignifikant mehr Probleme ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität, wenn die Regelung von Kontakt und Betreuung gegen ihren erklärten Willen getroffen wurde. Der stärkste Faktor, der sich sowohl für die psychische Gesundheit als auch für die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen erwiesen hat, sind Kontakt- und Betreuungsregelungen, die gegen den Willen der Kinder getroffen wurden. Dies ist jeweils mit hochsignifikant erhöhten Belastungen der Kinder und Jugendlichen verbunden. Für das Wohlergehen der Kinder erweist sich nach der Studie nicht das Kontakt- und Betreuungsmodell als relevant, wohl aber die eigenen Partizipationsmöglichkeiten auf dem Weg zu dessen Regelung: Wurde die Umgangsregelung gegen den erklärten Willen der Kinder getroffen, so weisen die Kinder stärkere Probleme ihrer psychischen Gesundheit auf und berichten über eine stärkere Beeinträchtigung ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität.

Die Studie spricht ganz klare Empfehlungen aus:
  • Festgemacht am Wohlergehen der Kinder legen diese Befunde kein spezifisches Leitbild zur Verteilung der zeitlichen Anteile bei der Betreuung und Erziehung der Kinder durch ihre getrennten Eltern nahe. Auch weiterhin sollten die besonderen Lebensumstände, Ressourcen und Vulnerabilitäten von Eltern und Kindern zur Geltung kommen können, wenn Eltern, Familiengerichte oder Beratungsstellen eine passende Lösung im Einzelfall suchen. Allerdings ist es wichtig, Konflikte zwischen den Eltern und Umgangsprobleme zu begrenzen sowie Möglichkeiten für eine aktive Involviertheit der Väter zu stärken, sowohl in bestehenden Partnerschaften als auch nach einer Trennung.
  • Will man günstige Bedingungen für eine geteilte Betreuung von Trennungskindern durch beide Eltern schaffen, so reicht es nicht, nur an der Situation nach einer Trennung und den hierauf bezogenen rechtlichen Bedingungen anzusetzen. Vielmehr müssen die Bedingungen für eine aktive Beteiligung beider Eltern an der Kinderbetreuung auch während der bestehenden Partnerschaft gestärkt werden.
  • Für einen besseren Schutz von Gewaltopfern sollten im Zuge der Begutachtung oder gerichtlichen Ermittlung Anhaltspunkte für tatsächliche Gewalt systematisiert berücksichtigt werden. Die Istanbul-Konvention und ihre flächendeckende Umsetzung bildet eine wichtige Säule für den Opferschutz im Bereich der Partnerschaftsgewalt.
  • Es liegt nahe, dass gewaltzentrierte Beratung für Eltern, die vor, während oder nach der Trennung Gewalt ausgeübt haben, geeignet ist, weitere Gewalt zu verhindern und eine Zusammenarbeit für den anderen Elternteil wieder zumutbar und möglich zu machen. Dies über bereits bestehende Modelle der Täterarbeit hinaus weiter auszuloten, wäre eine Aufgabe von Interventionsstudien und Modellprojekten zu gerichtsnaher gewaltzentrierter Beratung.
  • Da offen ist, ob der Abbau von (Umgangs-) Problemen zwischen den Eltern dazu beiträgt, die Bereitschaft zu einer geteilten Betreuung zu stärken, oder ob umgekehrt die Umsetzung einer geteilten Betreuung dazu beiträgt, (Umgangs-) Probleme abzubauen, sollte eine entsprechende Interventionsstudie beide Möglichkeiten vergleichend untersuchen. Diese Informationen sind für Familiengerichte und Beratungspraxis wichtig, um das geeignete Ziel ihrer Interventionen auszuwählen.
  • Der Befund, dass Vater-Kind-Beziehungen aus Sicht der Kinder bei geteilter Betreuung nicht besser ausfallen als bei der Hauptbetreuung durch die Mutter – solange regelmäßige Kontakte zum Vater bestehen – ist von besonderem Interesse. Er steht zunächst im Widerspruch zu anderen Studien, die für eine bessere Vater-Kind-Beziehung bei geteilter Betreuung sprechen; allerdings berücksichtigen diese Studien nicht die Kontakthäufigkeit zum Vater beim Residenzmodell Mutter. Vor diesem Hintergrund legt der Befund eine noch tiefergehende wissenschaftliche Befassung nahe.
  • Sofern möglich sollten Kinder in ihren Wünschen und Bedürfnissen hinsichtlich des Betreuungssettings nach Trennung der Eltern gehört und berücksichtigt werden Das Familienrecht, die UN-Kinderrechtekonvention, das SGB VIII und weitere Sozialisations- und Rechtsräume von Kindern sehen die Partizipation von Kindern ohnehin vor. Ein besonderes Erfordernis besteht darin, den kindlichen Willen behutsam zu ermitteln, um Kinder nicht in einen Loyalitätskonflikt (Entscheidung zwischen Mutter und Vater) zu tragen. Dies gilt insbesondere dort, wo Eltern divergierende Vorstellungen vom künftigen Betreuungsarrangement aufweisen und die Einbindung von Jugendamt und Familiengericht notwendig wird.
  • Um die professionelle Exploration der Wünsche von Kindern in getrenntlebenden Familien durch Familiengerichte und psychologische Sachverständige zu unterstützen, sollten vermehrt altersspezifische und für die jeweiligen Konfliktlagen sensible Kommunikationstechniken entwickelt werden und zum Einsatz kommen.
  • Eine Sonderrolle nehmen hochkonflikthafte Trennungskontexte ein. Gelingt es Eltern und Fachkräften nicht, das Konfliktniveau zu reduzieren, erleiden Kinder häufig den bereits erwähnten Loyalitätskonflikt. Dabei versuchen Kinder (alters- und entwicklungsbedingt) in Ermangelung konstruktiver Bewältigungsmöglichkeiten den Konflikten zu entgehen, in dem sie sich aus der Eltern-Kind-Verbindung zurückziehen. Hierdurch, und durch andere Einflüsse kommt es zu trennungsinduzierten Kontaktabbrüchen zwischen Kindern und Elternteilen. In solchen Zusammenhängen sollten kindliche Willensbekundungen zum Betreuungsarrangement vorsichtig belastet werden, da eine bedingungslose Berücksichtigung des Kindeswillens die Gefahr birgt, dass es zu einem Bindungsabriss zu einem Elternteil kommt. Jenseits dessen erweist sich die Beteiligung und Berücksichtigung von Kindern in diesem Zusammenhang als ein Kindeswohl förderlicher Wirkfaktor.
  • Eltern in Trennungskontexten sollten künftig noch stärker auf Beratungsangebote aufmerksam gemacht werden.
  • Auch eine fortlaufende Stärkung und Qualifikation der Beratungskontexte erscheint notwendig. Denn die Pluralität der Lebensentwürfe und die sich offenkundig verändernden Bedürfnisse von Trennungseltern stellt künftig noch spezifischere Anforderungen an Fachkräfte in Beratungseinrichtungen und Mediation. Das damit einhergehende Konfliktpotenzial lässt die Entwicklung von Fachkonzepten zur Beratung vor allem in konflikthaften Kontexten als wünschenswert erscheinen (vgl. Rücker, 2020).

Bist Du gerade in einem Pflegschaftsverfahren? Wenn Du Fragen zu Betreuungsmodellen, Obsorge- oder Kontaktrecht hast, wende Dich an die FEM.A Helpline. Du wirst dort nicht nur direkt beraten, sondern Du kannst auch eine kostenlose Erstberatung bei einer spezialisierten Rechtsanwältin vermittelt bekommen!

[1] https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Archive:Marriages_and_births_in_Austria/de&oldid=276200#Seit_2007_sind_mehr_als_die_H.C3.A4lfte_der_Erstgeborenen_in_.C3.96sterreich_au.C3.9Ferehelich_geboren

[2] https://projekt-petra.de/files/contaoLive/Materialien/Studien/230811%20final%20Gesamt%20Brosch%C3%BCre%20Kindeswohl%20und%20Umgangsrecht.pdf

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