ein Beitrag vom Blog der MIA.S im Rahmen der WHITE LILY REVOLUTION 25.11.-10.12.2021
INSTITUTIONELLE GEWALT IM GERICHTSAAL
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Ein Hinweis vorab: Wir wissen, dass es - zum Glück - viele fähige Familienrichter:innen, Jugendamtsmitarbeiter:innen, Verfahrensbeistände und Gutachter:innen gibt, die sehr engagiert ihre Arbeit machen und sich selbst regelmäßig um qualitative Fortbildungen auch zum Themenkomplex familiäre/häusliche Gewalt/sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder kümmern. Leider gibt es auch jene, die diese Kriterien bisher nicht (ausreichend) erfüllen, sowie weitere Ursachen und Gründe, die zu Situtionen wie den hier beschriebenen führen: gesetzliche, strukturelle, Ressourcen-Gründe etc.
Wenn Frauen mit ihren Kindern vor Partnerschaftsgewalt fliehen, eilt die Hoffnung mit ihnen mit, dass dieser Schritt zumindest mittelfristig eine Verbesserung ihrer Situation bedeutet. Leider erleben viele von ihnen etwas anderes. Gewaltbetroffenen Müttern und Kindern wird durch Institutionen erneut Gewalt angetan. Einerseits ermöglichen Institutionen durch unzureichende, fachlich falsche Bewertungen und Entscheidungen der Fälle weitere Gewaltausübung durch den Täter. Andererseits verüben auch Institutionen und ihre Akteur:innen Gewalt: duch Victim Blaming, Täter-Opfer-Umkehr und regelmäßige Pathologisierung der Mütter – teils mit pseudowissenschaftlichen Konzepten. All das ist institutionelle Gewalt und führt zu einer erneuten Viktimisierung der Opfer.
UMGANGSRECHT BRICHT GEWALTSCHUTZ
Neben der sekundären Viktimisierung durch das Nicht-Ernst-Nehmen der Opfer und ihrer Gewalterlebnisse führen gerichtlich angeordneter Umgangs- und Kontaktzwang, gerichtlich verordnete “freiwillige” Mediationen/Kurse etc. mit dem Täter zu immer weiterer Gefährdung der Gewaltopfer.
Täter nutzen solche gemeinsamen Termine regelmäßig als willkommene Plattform für neuerliches gewalttätiges Verhalten gegenüber ihrer Ex-Partnerin – ob mit psychischer oder emotionaler Gewalt, oder davor/danach für Übergriffe. Bereits das erneute Aufeinandertreffen mit dem Täter kann zu einer Retraumatisierung des Opfers führen.
Zudem bleiben Mütter über das gemeinsame Sorgerecht dauerhaft an den Täter gekettet. Sie sind gezwungen, bei jeder neuen Entscheidung im Verlauf der Kindheit sich erneut dem Täter auszusetzen. Das alleinige Sorgerecht erhalten sie nur in seltenen Fällen zugesprochen.
DIE URSACHEN
Eine der Ursachen in der Praxis ist eine anhaltende Missachtung der bestehenden Schutzrechte für die betroffenen Frauen – verbrieft im Gewaltschutzgesetz und der Istanbul-Konvention.
“Die Analyse zeigt, dass Väter und Kinder als Rechtssubjekte wahrgenommen und die ihnen zugesprochenen Rechte benannt werden. Vom Recht der Frau auf Gewaltschutz ist jedoch kaum die Rede, sondern eher vom „Bedürfnis der Mutter“, dem „Willen der Mutter“ oder dem „Schutz der Mutter“. Teilweise wird von einer „Rechtsposition der Mutter“ gesprochen, ohne zu benennen, worauf sich dieses Recht bezieht. Es hat den Anschein, als würde der Gewaltschutz als eine unterschiedlich stark gewichtete begleitende Rahmenbedingung in die Erwägung einbezogen und nicht als ein der Frau zustehendes Recht, dessen Verletzung weitere Grundrechtsverletzungen nach sich ziehen und damit eine Diskriminierung der Frau darstellen kann. In einem Interview, in dem tatsächlich über das „Recht auf“ körperliche Unversehrtheit der Frau gesprochen wird, ist gleichzeitig von einer so starken Bedrohung und massiven Gefährdung ihres Lebens die Rede, als würde erst in diesem Kontext das Recht beziehungsweise die Frau als Rechtssubjekt bedeutsam.”
Eichhorn, Anja, Häusliche Gewalt und Umgang als Menschenrechtsverletzung gegen Frauen, in: Soziale Arbeit, 66 (2017) 3, S. 101.
Auch Mütter, die mit ihren Kindern vor der Trennung noch keiner erkennbaren Gewalt durch den Partner ausgesetzt waren, sondern diese erst im Zuge der Trennung erleben, sind von institutioneller Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren betroffen.
Die Kampagne #whitelilyrev möchte diese Frauendiskriminierung im Gerichtssaal sichtbar machen, den betroffenen Müttern und ihren Kindern Raum geben, von ihren Erlebnissen (anonym) zu berichten und damit gehört zu werden. Denn: Es sind keine Einzelfälle. Es passiert täglich in Deutschland.- Und es ist eine anhaltende Menschenrechtsverletzung.
Wir fordern die vollständige, zügige Implementierung und Durchsetzung der Istanbul-Konvention , insb. Art. 31 IK, und die verlässliche Sicherstellung von echtem Gewaltschutz.
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