Informelle Strategien, Emotionsarbeit und (Un-)Vernunft im Rechtsstreit. Oder: Um den Unterhalt kämpfen!
Kostenloses Webinar und Lesung mit Autor Felix Gaillinger, M.A am Donnerstag, 10. November 2022
Dabei sehen sich die jungen Volljährigen – und entlang sexistischer Differenzachsen insbesondere junge volljährige Töchter – häufig erstmals mit grundlegenden Machtgefällen, innerfamiliärem Klassismus, moralischem Druck oder auch patriarchaler Gewalt konfrontiert, die zuvor ihre Mütter an ihrer Stelle zu bewältigen hatten. Mit dem Fall des Kalenderblattes kommt es so mitunter zu Verantwortungsverlagerungen und notwendigen neuen Definitionen der Beziehungskonstellationen zwischen Vätern und Töchtern (und natürlich auch Söhnen). Dies zwingt dazu, ganz persönliche und informelle Strategien im Unterhaltskonflikt zu entwickeln. Soll ich mein Elternteil duzen, oder greife ich strategisch zum „Sie“, um eine scheinbar vernünftigere Distanz aufzubauen? Welchen Unterschied macht es, wenn ich Unterhaltsfragen im Schriftverkehr oder am Telefon diskutiere? Riskiere ich dann, wenn ich mir Hilfe von Rechtsanwält*innen suche und sozusagen einen „neutralen Dritten“ ins Boot hole, das (männliche) Ego meines Elternteils zu kränken? Kann es eine Strategie sein, manche Fragen im Unterhaltskonflikt nicht anzusprechen?
In einem kurzem Impulsvortrag geht der Kulturanthropologe auf folgende Themen ein:
- Was können wir unter Unterhalt aus einer gesellschaftskritischen feministischen Perspektive verstehen?
- Wie werden Unterhaltskonflikte junger Volljähriger zum aufreibenden Beziehungsprojekt zwischen Vätern und Töchtern?
- Was können Mädchen und junge Frauen im Rechtsstreit tun, um auch bei Machtgefällen und Hierarchien ihre Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten?
- Was bedeutet es, mit väterlichem moralischem Druck konfrontiert zu sein?
- Was ist Emotionsarbeit und warum spielt sie im familiären Rechtsstreit eine Rolle?
- Welche Taktiken und Strategien entwickeln junge volljährige Frauen jenseits rechtlich vorgezeichneter Fahrschienen?
Anschließend lesen und diskutieren wir gemeinsam das Porträt der jungen Volljährigen Laura aus Felix Gaillingers ethnographischen Studie „Um den Unterhalt kämpfen! Junge Volljährige im Rechtsstreit gegen ihre Väter“, die 2022 im Utzverlag erschienen ist (https://www.utzverlag.de/catalog/book/44959) – „Mein Vater ist sehr gut darin, emotionalen Druck zu benutzen“ (Kapitel 4.1, S. 65-76):
- Nur vermuten – das Gegenüber im Pejorativ betrachten
- Ohnmächtig hantieren – zur (medialen) Anrufung des Rabenvaters
- Selbstermächtigt Wissen instrumentalisieren – Antizipation moralischer Angriffe
- Praktische Hilfe suchen – mit institutionellen Bündnispartnern das rechtlich Kodifizierte umgehen
Der Autor
Felix Gaillinger, M.A., B.A., B.A. (https://euroethnologie.univie.ac.at/institut/personal/wissenschaftliches-personal/felix-gaillinger/), studierte Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie, Italianistik, Pädagogik / Bildungswissenschaften und Sprache, Literatur und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Università di Bologna.
Seit April 2022 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter / Universitätsassistent “prae doc” am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien. 2022 erschien seine erste Monographie Um den Unterhalt kämpfen! Junge Volljährige im Rechtsstreit gegen ihre Väter im Utzverlag, in der es um das Zusammenspiel von Macht, Klassismus, Tauschmoral und Transferbeziehung in Unterhaltskonflikten junger Volljähriger geht. Zu seinen Forschungsinteressen zählen Familien- und Biographieforschung, Einsamkeit und Generationalität, Prekarisierungsforschung, (Anti-)Klassismus / transclasse in Theorie und Praxis sowie Rechtsanthropologie.
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