Falsche Narrative, die von Väterrechtlern bewusst in die Welt gesetzt werden.
Onlinediskussion am Mittwoch, 15. Juni 2022 um 19.00 Uhr
Müttern wird von Pflegschaftsrichter*innnen, Familiengerichtshilfemitarbeiter*innen, Gutachter*innen und Väterrechtlern fortlaufend vorgeworfen, sogenannte “Gatekeeperinnen” zu sein und den Kontakt zwischen Vater und Kind zu verhindern.
Tatsächlich sind die Gründe sehr vielfältig, warum Väter ihre Kinder nach einer Trennung nicht mehr sehen.
2007 leitete Mariam-Irene Tazi-Preve eine Untersuchung, die der Frage nachging, warum so viele Väter nach der Trennung bzw. Scheidung von der Kindesmutter keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben. Es zeigte sich, dass dies vielfältige Gründe hat und nur bei einem Teil daran liegt, dass die Mutter den Kontakt zu den Kindern/dem Kind willentlich unterbindet. Die Gründe liegen, so hat sich in der qualitativen Befragung von ExpertInnen herauskristallisiert, im Wesentlichen in den folgenden vier Bereichen:
- Das (Selbst-)Verständnis von Vaterschaft: Dabei geht es um das subjektive Vaterschaftskonzept der Männer, verbunden mit gesellschaftlichen Erwartungen an Väter. Manche Männer ziehen sich gänzlich zurück, weil sie unsicher über die Bedeutung der eigenen Rolle als Vater sind. Es zeigt sich, dass vor allem der klassische „Ernährer-Vater“ nach einer Scheidung Probleme mit der Ausgestaltung der Vater-Kind-Beziehung haben kann, da er auf die bisher von der Mutter übernommene Rolle als „Beziehungsvermittlerin“ verzichten muss.
- Die Beziehung zur Kindesmutter: Äußerst bedeutsam für den Kontakt zwischen Vater und Kind ist die Qualität der Beziehung des Vaters zur Kindesmutter. Als Schlüsselfaktor für den Kontaktverlust bzw. –abbruch zwischen Vater und Kind erweist sich, wenn Mutter und Vater die Konflikte als Paar und als Eltern vermischen. Besonders problematisch sind dabei Eskalation von Konflikten und die bisweilen jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen.
- Eine neue Partnerschaft: Das Eingehen einer neuen Partnerschaft des Vaters und/oder der Kindesmutter fördert den Kontaktverlust zwischen Vater und Kind. Das größte Problem stellt dabei das Entstehen von Konkurrenzsituationen zwischen der Kindesmutter oder/und den Kindern und der neuen Partnerin des Vaters dar bzw. umgekehrt, wenn die Kindesmutter eine neue Partnerschaft eingeht.
- Macht und Gewalt: Zentrale Themen im Zusammenhang mit dem Kontaktabbruch zwischen Vater und Kind sind Macht und Gewalt. Auf der einen Seite haben die Kindesmütter eine gegenüber den Kindesvätern privilegierte Position in Bezug auf ihre Kinder, weil sie diese primär betreut haben. Auf der anderen Seite geht es um männliche Gewaltausübung innerhalb der Familie, da Mütter den Kontakt mit Vätern, die während der Beziehung gegen sie und/oder gegen die Kinder gewalttätig waren, verweigern. Ein Teil der Mütter unterbindet den Kontakt, weil sie mit ihrem gewalttätigen ehemaligen Partner in keiner Weise mehr kooperieren wollen. Es gibt also einen Anteil von Frauen, die dem Vater „die Kinder entziehen“. Die Väterrechtsbewegung aber macht uns glauben, dass diese Mütter die große Mehrheit darstellen würden, und weigert sich, andere Faktoren, die zum Kontaktverlust mit dem Kind führen können, anzuerkennen.
Am Podium diskutieren darüber die Wissenschafterin und Autorin Dr.in Mariam Irene Tazi- Preve, die Klinische- und Gesundheitspsychologin Mag.a Maria Ebersteller und das FEM.A Vorstandsmitglied und Rechtsexpertin Mag.a Susanne Wunderer. Moderation: Andrea Czak, MA, geschäftsführende Obfrau des Vereins FEM.A.
Dr.in Mariam Irene Tazi-Preve
Dr.in Mariam Irene Tazi-Preve, geboren in Innsbruck, Österreich, Unterricht an der University of Central Florida, davor University of New Orleans ist eine Zivilisationstheoretikerin mit visionärem Blick. Sie verfügt über langjährige Forschungstätigkeit in Wien an den größten Forschungsinstitutionen (Österreichische Akademie der Wissenschaft, Universität Wien, Ludwig Boltzmann Institut). Sie war Gastprofessorin an der City University of London, der Australian National University in Canberra und an der Universitat Pampeu Fabra in Barcelona.
Ihre Schwerpunkte sind politische und feministische Theorie, Politik und Reproduktion, der europäische Wohlfahrtsstaat und Zivilisationstheorie Sie ist Autorin bzw. Koautorin und Herausgeberin von mehreren Büchern und zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen, darunter “Mutterschaft im Patriarchat” und “Väter im Abseits”. Sie war Mitbegründerin von “Bumerang. Zeitschrift für Patriarchatskritik”. Mariams jüngstes Buch „Das Versagen der Kleinfamilie“ erschien 2017 auf Deutsch und 2020 auf Italienisch. Sie ist – häufig mit Hauptvortrag – Referentin in Nordamerika und Europa und in zahlreiche internationale Netzwerke involviert (Network of Societies of Peace, Motherhood Initiative for Research and Community Involvement, Network on the Gift Economy, American Political Science Association u.a.m.).
Website: https://www.mariamtazi-preve.com
Mag.a Maria Eberstaller
Klinische und Gesundheitspsychologin
Die Klinische- und Gesundheitspsychologin Mag.a Maria Eberstaller ist 53 Jahre alt. Sie ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Nach ihrer Ausbildung hat sie als Hortpädagogin zu arbeiten begonnen und vier Jahre eine Gruppe geleitet. Danach erst kam der Entschluss zum Studium der Psychologie. Die Freude an der Arbeit mit Kindern ist geblieben. Die Tätigkeit als Sachverständige hat sie in den Bereich der Obsorge und Familienrecht geführt. Seit einigen Jahren wird sie immer öfter von Müttern und Vätern aufgesucht, die Sorge haben, dass es ihrem Kind im Obsorgestreit nicht gut geht. Sie begleitet diese Familien als Psychotherapeutin, schreibt aber auch Befunde und Stellungnahmen, um darzulegen, wie es dem Kind in seiner Situation geht. Sie hält dies für sehr wichtig, weil meist der Blick auf das Kind in den Obsorgeverfahren verloren geht.
Mag.a Susanne Wunderer hat an der WU Wien studiert und ist alleinerziehende Mutter einer Tochter. Da sie selbst früh mit einem Pflegschaftsverfahren konfrontiert war, hat sie vor einigen Jahren eine Selbsthilfegruppe gegründet, um Unterstützung durch den Austausch mit anderen betroffenen Müttern bieten zu können. Die lange und intensive Beschäftigung mit Pflegschaftsverfahren hat sie zur Expertin werden lassen. Seit einem Jahr ist sie Vorstandsmitglied bei FEM.A, wo sie sich um alles Rechtliche und die Interessensvertretung von Alleinerzieher*innen kümmert. Sie betreut täglich das FEM.A-Telefon und kann aus vielen, vielen Praxis-Fällen, die sie täglich aus ganz Österreich hört, berichten.
ANDREA CZAK, MA
Andrea Czak, MA studierte an der Academy of Fashion Design in Rom und machte ihren Master in Fashion Marketing am Istituto Europeo di Design in Mailand.
Sie lebte fünfzehn Jahre in Italien und sammelte dabei viel internationale Erfahrung. Andrea ist die Gründerin und hauptberuflich als die geschäftsführende Obfrau des Vereins Feministische Alleinerzieherinnen – FEM.A tätig. Sie ist überzeugte Feministin und bestens in der feministischen Szene Wiens vernetzt. Seit vielen Jahren setzt sie sich als politische Aktivistin für die Rechte von Alleinerzieherinnen und ihren Kindern ein. Sie ist selbst alleinerziehende Mutter einer Tochter.
Quellen:
- Das Versagen der Kleinfamilie: Kapitalismus, Liebe und der Staat von Mariam Irene Tazi-Preve.
- Väter im Abseits. Zum Kontaktabbruch der Vater-Kind-Beziehung nach Scheidung und Trennung von Mariam Irene Tazi-Preve