Nachtrennungsgewalt gegen Mütter und Kinder in Pflegschaftsverfahren ist in Österreich nach wie vor allgegenwärtig
„Mit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention am 1. August 2014 wurde ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einer grundlegenden Verbesserung der Frauenrechte und der Bekämpfung patriarchaler Strukturen gesetzt. Die Istanbul-Konvention besagt eindeutig: Nur Gleichstellung ist die Grundlage für ein gewaltfreies Leben“, so die Vorsitzende des Frauenrings, Klaudia Frieben, in einer Presseaussendung (10 Jahre Istanbul-Konvention: Handlungsbedarf bei der Umsetzung | Österreichischer Frauenring, 31.07.2024 (ots.at)
„Seit 2014 wird die Istanbul-Konvention noch immer nicht zwingend in Pflegschaftsverfahren angewendet. Der Artikel 31 – Sorgerecht, Besuchsrecht und Sicherheit – „Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet.“ – wird weitestgehend von Familienrichter*innen ignoriert.
„Der Kampf gegen Gewalt an Müttern und Kindern in Pflegschaftsverfahren darf nicht länger ein Nebenschauplatz sein. Österreich hat sich dazu verpflichtet, Frauen zu schützen und ihnen ein selbstbestimmtes und unversehrtes Leben in Sicherheit auch nach einer Trennung zu ermöglichen.
FEM.A fordert deshalb:
- Häusliche Gewalt gegen Frauen, auch psychische Gewalt, und gegen Kinder, auch in Form von miterlebter Gewalt, muss als solche anerkannt und sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht in Kontaktrechts- und Obsorge-Entscheidungen berücksichtigt werden.
- Keine gemeinsame Obsorge, bis zur erfolgreichen Absolvierung eines Anti-Gewalttrainings des gewaltausübenden Elternteils sowie einer Erziehungsberatung zum Abbau von Erziehungsdefiziten sowie zum Erlernen einer respektvollen, sachlichen Kommunikation mit dem anderen Elternteil ohne Erhebung negativer Äußerungen über den anderen Elternteil vor dem Kind
- Keine unbegleiteten Kontakte des gewaltausübenden Vaters zum Kind; keine zwangsweise Kontaktdurchsetzung gegen den ausdrücklichen Willen des Kindes; keine Androhung und Verhängung von Beugestrafen für von Gewalt betroffenen Müttern.
- Es müssen gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden, um Kinder und Frauen in Pflegschaftsverfahren vor weiterer Gewalt zu schützen und Victim Blaming bzw. Täter-Opfer-Umkehr zu verhindern.
- Es müssen sämtliche Maßnahmen ergriffen werden, die sicherstellen, dass die Aussagen der von direkter oder mittelbarer Gewalt betroffenen Kinder nicht vorschnell als Beeinflussung der Mutter, Ausfluss eines Loyalitätskonfliktes oder als False-Memory/bzw. Scheinerinnerungen abgetan werden, sondern diesem fundiert nachgegangen und dem Kindeswillen bestmöglich nachgekommen wird.
- Es müssen sämtliche notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, die sicherstellen, dass die Anwendung der „PAS“-Theorie (Eltern-Kind-Entfremdung, Bindungsintoleranz) und ähnlicher Konzepte wie das False-Memory-Syndrome in Pflegschaftsverfahren untersagt werden.
- Die Schaffung eines unabhängigen Kontrollorgans von externen Expert*innen, welches im Falle des Aufzeigens von mangelhaften klinisch-psychologischen Gutachten die Einhaltung der Berufsrichtlinien, der Ethikrichtlinien und der Richtlinien des Gewaltschutzes durch die vom Gericht beauftragten Gutachter*innen überprüft und Empfehlungen ausspricht.
- Pflegschaftsverfahren, die im Kontext häuslicher Gewalt stehen, müssen besonders rasch geführt und Entscheidungen rasch ergehen, um den Müttern und Kindern die damit einhergehende hohe weitere psychische und finanzielle Belastung zu ersparen.
- Müttern, die Opfer von Gewalt sind, müssen die Möglichkeit der kostenlosen juristischen Prozessbegleitung auch in zivilrechtlichen Verfahren gewährt werden.
- In Pflegschaftsverfahren muss im Kontext von Gewalt bei Verdacht auf eine narzisstische Persönlichkeitsstörung/-akzentuierung bzw. mangelnde Impulskontrolle bzw. psychopathische Störung ein psychiatrisches Gutachten des gewaltausübenden Vaters eingeholt werden und bis dahin keine unbegleiteten Kontakte stattfinden.
- Es muss zwingend das Recht auf schonende Einvernahme und vom Täter abgesonderte Einvernahme von Gewaltopfern auch im Zivilrecht vorgesehen werden. Es soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass Opfer von häuslicher Gewalt schonend per Video befragt werden können, wie dies bereits in Strafverfahren möglich ist. Überdies sollen Gewaltopfer vom Pflegschaftsgericht präventiv über diese Möglichkeit informiert werden.
- Der Besuch von Ausbildungs- und Fortbildungsprogramm von (angehenden) Familienrichter*innen, unter Hinweis auf Artikel 15 der Istanbul Konvention, und sämtlichen im Pflegschaftsverfahren tätigen Personen muss verpflichtend werden.
- Familienrichter*innen müssen sich verpflichtend Fachwissen zur Thematik der geschlechterbasierten Gewalt gegen Frauen und Kinder aneignen, bevor sie in ihrem Beruf tätig werden.
- Der Kinderschutz-Leitfaden in Form der Handreiche zum Umgang mit Gewalt im Zusammenhang mit Obsorge und Kontaktrecht des Bundesministeriums für Justiz, muss verpflichtend bindend für alle Familienrichter*innen und das gesamte Person, das in Pflegschaftsverfahren involviert ist, werden. Derzeit ist es nur auf freiwilliger Basis anwendbar und viele Familienrichter*innen ignorieren es. De facto stellt die Handreiche die Umsetzung der Istanbul-Konvention dar, die in Österreich 2014 in Kraft getreten ist.
- Die Durchführung einer Studie, um die Anzahl der betroffenen Kinder in Pflegschaftsverfahren und die Höhe der häuslichen Gewaltvorfälle als Scheidungs-/Trennungsgrund zu dokumentieren.
- Die Evaluierung der verwendeten Methodik und Literatur der Familiengerichtshilfe sowie die Unterlagen, die für die Einschulung ihrer Mitarbeiter*innen verwendet wird, auf Gender-Bias.
- Eine Evaluierung des KindNamRÄG 2013 unter Anhörung der von Obsorgeverfahren betroffenen Mütter, Väter und Kinder von unabhängige n Wissenschafter*innen, um die Ursachen des Anstiegs der Anzahl der hochstrittigen Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren zu untersuchen.
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