Die Familienrechtsreform der 1970er Jahre war bahnbrechend: Veraltete Gesetze, die seit 1811 galten, wurden der modernen Zeit angepasst. So wurde zum Beispiel die „väterliche Gewalt“ beseitigt, die dem Vater das alleinige Bestimmungsrecht über die Kinder zusprach. Ehefrauen mussten ebenfalls den Pater Familias zuvor um Erlaubnis bitten, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben wollten. Der Mann konnte seiner Ehefrau vor der Reform verbieten, arbeiten zu gehen. Außerdem wurde das Unterhaltsvorschussgesetz eingeführt, damit der Unterhalt von Kindern, deren Vater keinen, unregelmäßigen oder zu geringen Unterhalt bezahlte, gesichert ist. Dass aufgrund der hohen Anspruchsvoraussetzungen viele Kinder keinen Unterhaltsvorschuss bekommen können, wurde übrigens schon einige Monate nach Einführung des Gesetzes bekannt und seither nie geändert bzw. verbessert.
Die Gleichberechtigung von Müttern und Vätern war allerdings nicht allen Vätern recht. So entstanden in dieser Zeit die ersten Vaterrechtsbewegungen. Unter dem Deckmantel des Kindeswohls und dem Slogan „Das Recht des Kindes auf beide Eltern“, hinter dem sie ihre eigenen Interessen zu verschleiern versuchten, kämpften rechtskonservative Väter gegen gleiche Rechte zwischen Müttern und Vätern. Sie verlangten:
- eine Verpflichtung für beide Eltern vor der Scheidung oder Trennung, eine „Elternschule“ bei einem Psychologen zu besuchen, der ihnen die gemeinsame Verantwortung gegenüber dem Kind verdeutlichen sollte.
- dass die Betreuung des Kindes dem Elternteil per Gerichtsbeschluss zugesprochen werden sollte, der „die persönliche, individuelle und kontinuierliche Betreuung des Kindes am besten gewährleistet“, also nicht mehr bei dem, der das Kind bisher hauptsächlich betreut hatte. De facto hätten die Väter wieder die Obsorge bekommen.
- Ein ausgeweitetes Kontaktrecht schon bei Kleinkindern.
In den 90er Jahren führte ein Richter in einer deutschen Kleinstadt eine Vorgehensweise ein, die später noch als „Cochemer Modell“ bekannt werden sollte. Er setzte die Forderungen der Väterrechtler an seinem Gericht um. Später etablierte sich diese Praxis und fand im deutschen Familienrecht Einzug, seit 2013 sogar im österreichischen Familienrecht, ohne dass das Modell unter dem Namen „Cochemer Modell“ gelabelt wurde.
Die Prinzipien des Cochemer Modells:
- Es wird fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Beziehung zwischen den Eltern aus einer Paarebene und einer Elternebene besteht, die klar zu trennen wären. Es wird weiter behauptet, bei einer Trennung oder Scheidung wäre die Paarebene zerrüttet, die Elternebene könne aber funktionieren, wenn nur beide Elternteile dazu bereit werden. Die Aufteilung in diese Ebenen hat jedoch keinen wissenschaftlichen Hintergrund und beruht rein auf der Vorstellung des Richters in Cochem.
- Es wird fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Elternteile sich vertragen könnten und in Einvernehmen ihre Kinder erziehen können. Das Modell ignoriert, dass der Grund für die Trennung oder Scheidung, insbesondere in „hochstrittigen“ Fällen, meist Gewalt ist. Egal ob körperliche, sexualisierte, finanzielle, psychische oder andere Gewaltformen wie die Ausbeutung der Arbeitskraft durch die Verweigerung der Aufteilung der Care-Arbeit. Viele dieser Gewaltformen enden meist nicht nach einer Trennung oder Scheidung. Sie werden vom gewalttätigen Elternteil oft in Form von Nachtrennungsgewalt weitergeführt oder treten verstärkt nach der Trennung auf. Nicht nur aus moralischer Sicht, auch im Sinne der Istanbul-Konvention darf deshalb ein Einvernehmen zwischen dem Opfer und dem Gewalttäter nicht verlangt werden.
- Um Einvernehmen herzustellen, wird ein „interdisziplinäres Team“ tätig, das die Elternteile, auch wenn eines davon Opfer von Gewalt wurde, zu einer einvernehmlichen Lösung bewegen soll. In Österreich werden derzeit Mitarbeiter*innen der Familiengerichtshilfe, Mediator*innen, Elternberater*innen, Kinderbeiständ*innen und manchmal sogar die Kinder- und Jugendhilfe tätig. Fast alle Dienste müssen von den beiden Elternteilen selbst bezahlt werden.
- Eine Heerschaar an Professionen wird nun eingesetzt, um die Eltern zu einer Einigung über Obsorge und Kontaktrecht zu bewegen. Diesen Prozess empfinden die meisten Mütter nicht als hilfreich und konstruktiv, sondern als einschüchternd und oft auch bedrohlich, oftmals als psychisch extrem belastend. Zusätzlich gefährden die hohen Kosten dieses Prozesses die Existenzgrundlage vieler Alleinerzieher*innen.
Das Cochemer Modell, das von Väterrechtlern propagiert wurde, basiert NICHT auf wissenschaftlicher Evidenz. Es fand nie eine Evaluierung des Modells statt. Dass es angeblich gut funktionieren soll, basiert rein auf den subjektiven Behauptungen der Befürworter. Selbst die Annahmen, die ihm zugrunde liegen, sind wissenschaftlich nicht erwiesen. Trotzdem fand es Eingang in das österreichische Familienrecht, nach zahlreichen Anträgen der FPÖ. Das deklarierte Ziel der FPÖ: Kürzere und damit günstigere Verfahren. Genau das Gegenteil trat ein. Auch heute noch ist zu beobachten, dass das Modell vor allem den Eltern viel Geld kostet und gleichzeitig in den meisten Fällen unwirksam ist. Denn: Einigkeit kann man nicht erzwingen, die Eltern haben schon zuvor alle Wege ausgereizt, um sich einig zu werden und sind gescheitert. Insbesondere Gewaltopfer können und dürfen nicht zu einer Einigung mit dem Gewalttäter gedrängt werden. Für sie ist das Cochemer Modell eine Abfolge an retraumatisierenden Ereignissen, bei denen sie von verschiedenen Berufsgruppen dazu überredet, ja teilweise genötigt werden, die vorgefallene Gewalt zu verschweigen. Durch die Möglichkeit in der Rechtsprechung, den Kindesunterhalt durch zusätzliche Betreuungstage zu reduzieren, wurde ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, Kontaktrechtsverfahren zu führen, um der Geldunterhaltspflicht zu entgehen.
Unsere Kritikam Cochemer Modell
Wir kritisieren, dass das Cochemer Modell, in der Form, in der es in der heutigen Gerichtspraxis in Österreich angewandt wird, eine schwere Menschenrechtsverletzung für Gewaltopfer darstellt. Es widerspricht klar der Istanbul Konvention. Das Modell ist darüber hinaus unwissenschaftlich, verursacht längere Verfahren und Kosten und ist selbst dann ineffizient, wenn keine Gewalt vorgefallen ist. Es ermöglicht darüber hinaus gewalttätigen Kindesvätern die weitere Ausübung von Kontrolle und psychischer Gewalt während des erzwungenen Einigungsprozesses in Form von Nachtrennungsgewalt.
Besonders für Mütter, die bereits während der Beziehung eine schlechte Verhandlungsposition hatten, etwa weil der Kindesvater sie bedroht oder eingeschüchtert hat und weil sie weniger Einkommen hatten oder der Partner gar gewalttätig war, haben auch in einer Mediation eine schwächere Position. Oft sind die Mütter dabei institutioneller Gewalt ausgesetzt, etwa weil die Vertreter*innen der Institutionen die Istanbul-Konvention missachten, die Gewalt des Ex-Partners nicht beachten oder sogar der Mutter einen Vorwurf machen, wenn sie die erlebte Gewalt öffentlich macht. Müttern wird oft vermittelt, dass die Gewalt der Vergangenheit angehöre und sie nur noch nach vorne blicken sollen, diese also vergessen sollen. Das geschieht auch dann, wenn die Gewalt tatsächlich noch weitergeht, zum Beispiel durch finanzielle Gewalt, indem kein oder zu wenig Kindesunterhalt gezahlt wird, oder Väter immer wieder neue Verfahren anzetteln, in der Mütter sich teure Anwält*innen leisten müssen, um nicht noch schlechter gestellt zu sein. Sehr häufig wird Müttern, die den Kontakt zum gewalttätigen Kindesvater vermeiden wollen, „Bindungsintoleranz“ oder „Parental Alienation“, beides unwissenschaftliche und diskriminierende Konzepte, von Vertreter*innen der Familiengerichtshilfe, Mediator*innen oder anderen Dispositiven vorgeworfen. Die Traumatisierung durch den Kindesvater wird ihnen dann zum Verhängnis, weil ihnen unterstellt wird, sie können nicht für das Kindeswohl sorgen, sollten sie durch die Traumatisierung eine Belastungsstörung entwickelt haben. Daher droht ihnen in vielen Fällen der Entzug der Obsorge oder die verordnete, gemeinsame Obsorge mit dem Gewalttäter.
Fruchten die Überzeugungsversuche durch Elternberater*innen, Mediator*innen und Mitarbeiter*innen der Jugendgerichtshilfe nicht, so beauftragen Richter*innen häufig eine*n familienpsychologische*n Gutachter*in, die ebenfalls zu gleichen Teilen von den Eltern bezahlt werden muss.
Heute noch wird die Übernahme des Cochemer Modells in die österreichische Gerichtspraxis von Väterrechtlern gelobt, die ihre Forderungen damit erfüllt sehen.
FEM.A fordert daher:
- Die Einhaltung der Istanbul-Konvention in Pflegschafts- und Unterhaltsverfahren. Gewaltopfer, egal welcher Form von Gewalt sie ausgesetzt waren, und egal, ob eine Verurteilung nach dem Strafgesetz geschah, dürfen dem Täter nicht ausgesetzt werden.
- Eine wissenschaftliche Evaluierung der Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit des Cochemer Modells, wie es heute in Österreich umgesetzt wird, muss durchgeführt werden, bevor es weiter zum Einsatz kommt.
- Alle Beteiligten am Cochemer Modell (Richter*innen, Mitarbeiter*innen der Familiengerichtshilfe, Kinderbeistände, Mediator*innen, Elternberater*innen, Mitarbeiter*innen der Kinder- und Jugendhilfe und familienpsychologische Gutachter*innen) müssen eine verpflichtende Ausbildung über Gewaltschutz und die Istanbul-Konvention absolvieren, bevor sie tätig werden.
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