Rede von Isabella Unfried anlässlich des Frauentags am 8. März 2023 vom DIY Frauentag Linz, die viel Zuspruch erhalten hat
Du hast einen Penis.
Du wurdest männlich sozialisiert.
Du erhältst das System.
Du wurdest gelobt, wenn du dich durchgesetzt hast, stark und mutig warst.
Wenn du weintest, dann aus Ärger. Du durftest nicht traurig sein.
Wenn du wütend warst, hieß es: Zeig es ihnen!
Heute fühlt es sich für dich selbstverständlich an, dass die Welt wie für dich gemacht ist.
Du hast einen Penis und Du erhältst das System
Ich habe eine Vulva.
Ich wurde weiblich sozialisiert.
Ich bin systemerhaltend.
Ich wurde gelobt, wenn ich brav war und half.
Wenn ich weinte, dann aus Trauer. Ich durfte mich nicht ärgern.
Wenn ich wütend war, hieß es: Beruhig dich doch!
Heute fühlt es sich für mich selbstverständlich an, dass ich mich selbst für andere zurücknehme und mich um andere kümmere.
Ich habe eine Vulva und ich bin systemerhaltend
Du wurdest zum Vater.
Genau wie dein Vater.
Du erhältst das System.
Du hilfst ein bisschen im Haushalt – vielleicht sogar ein bisschen mehr als dein Vater.
Du passt manchmal auf die Kinder auf – vielleicht sogar ein bisschen mehr als dein Vater.
Du gehst 40h arbeiten und hast danach Freizeit – genau wie dein Vater.
Du willst deine Familie erhalten – genau wie dein Vater.
Du bist ein Vater und Du erhältst das System
Ich wurde eine Mutter.
Genau wie meine Mutter.
Ich bin systemerhaltend.
Ich führe den Haushalt – genau wie meine Mutter.
und gehe einkaufen und kaufe die Weihnachtsgeschenke für die Schwiegereltern und die Kinder und hol die nassen Schwimmsachen aus dem Turnsackerl.
Ich betreue die Kinder – genau wie meine Mutter. Bringe sie in die Schule und den Kindergarten, begleite sie zum Arzt und in die Musikschule, kontrolliere Hausübungen und motiviere zum Flöte-Üben, besorge das Geburtstagsgeschenk für die Klassen-Kolleg*innen und weiß wer aktuell die besten Freund*Innen sind
Ich arbeite im Schnitt 100 h die Woche – ein Teil davon ist bezahlt. Deswegen heißt es wohl Teilzeitarbeit – weil nur ein Teil der Arbeit bezahlt ist.
Ich will meine Familie erhalten – genau wie meine Mutter
Ich bin eine Mutter und ich bin systemerhaltend.
Ich selbst bin eine alleinbegleitende Mutter.
Genau wie 17 Prozent aller Mütter.
Ich bin Systemerhaltend.
Ich muss um den Unterhalt für meine Tochter gerichtlich kämpfen. Ich muss dafür Zeit, Energie und Geld aufbringen.
Ich muss verfügbar sein, wenn der Vater das Kontakt-Wochenende kurzfristig absagt.
Ich muss das nötige Geld für meine Familie alleine verdienen.
Ich habe zu wenig Zeit für Wut, weil ich viel zu viel Ärger habe.
Kaum Kraft für den Kampf um Frauenrechte und Gleichberechtigung, weil ich vor Gericht um Unterhalt kämpfen muss, damit sich neben Miete und Essen auch noch ein Hallenbad-Besuch mit dem Kind ausgeht.
Ich habe keinen Mut mich zu fragen, was ich eigentlich als Mensch brauche, weil ich allen Mut brauche um aufs Konto zu schauen wenn es wieder 10 bis 16 Wochen dauert bis die Wohnbeihilfe ankommt.
Ich habe keine Zeit für Self-Care und Meditation die mir so guttäten, weil ich in meiner Freizeit Formulare für Beihilfen suche, Anträge ausfülle und Lohnzettel kopiere und mich im Wirr-Warr der Sozial-Hilfen verirre.
Ich fühl mich, als würde ich einen Berg hinab laufen und dabei immer schneller werden.
Kennt ihr das Gefühl?
Ich habe Angst, dass wenn ich nachdenke, wo ich meinen Fuß hinzusetzten habe, ich unweigerlich stolpern werde. Eine scheiß Angst, hinzufallen und nicht mehr aufstehen zu können. Denn wer erhält dann meine Familie. Wer erhält dann das System?
Das System, das mich benachteiligt und ausbeutet? Das mich arm und krank macht.
Ich bin eine alleinbegleitende Mutter und ich bin systemerhaltend.
Weil ich eine Vulva habe, weil ich weiblich sozialisiert wurde, weil ich Mutter bin und weil ich alleine für meine Familie sorge, erhalte ich das System.
Ein System das nicht erhalten, sondern geändert gehört! Nicht nur für mich! Auch für Dich!
Aber Veränderung macht Angst!
Ich allein schaff das nicht!
Du alleine auch nicht!
Aber gemeinsam!
Denn: Wir alle sind aus einer Vulva – aus einer Gebärmutter geboren
Wir alle sind das System.
Wir alle können es ändern! Wir alle nehmen uns Zeit, heute am Frauentag, um gemeinsam mutig zu fordern was nötig ist, zu kämpfen für das, was uns zusteht, und wütend zu sein, denn wie Dota im Lied „Utopie“ singt: es geht nicht um ein Stück vom Kuchen, es geht um die ganze Bäckerei!
Die Autorin
Isabella Unfried (Jahrgang 85), alleinbegleitende Mutter einer Tochter Jahrgang 2016, wohnhaft in Linz/Leonding.
Journalistische, pädagogische und theologische Ausbildungen, derzeit in Ausbildung zur Sexualpädagogin. Engagiert beim Wandel (politische Partei), bei Verein Feministische Alleinerzieherinnen – FEM.A und ÖPA. Arbeitet Teilzeit als Pfarrsekretärin.
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