Lea Martin, Berlin 2024
Frauen übernehmen weltweit mehr Verantwortung für Kinder und Familie und verfügen gleichzeitig über weit weniger Vermögen und ein deutlich niedrigeres Erwerbseinkommen als Männer. Sie sind finanziell schlechter als Männer abgesichert, obwohl sie diese Absicherung aufgrund der familiären Verantwortung, die sie übernehmen, besonders benötigen.
In der Regel wird diese Tatsache so beschrieben, als sei die Geschichte der Frauen daran schuld, dass sie finanziell schlechter dastehen als Männer, und sie müssten sich also noch ein Stück weiter emanzipieren. Was aber bedeutet Emanzipation? Es bedeutet, sich aus der Hand eines anderen zu befreien. Wenn das so ist, wo ist der Schlüssel? Wie kann es Frauen gelingen, sich aus ihrer Armut zu befreien, persönlich, vor allem aber gesamtgesellschaftlich?
Die Frauenbewegung hat erfolgreich erkämpft, dass Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde. Die Gewalt, die Frauen in finanzieller Hinsicht erleben, ist ähnlich unsichtbar, wie Vergewaltigung es jahrhundertlang war. Um Gewalt zu sehen, muss man sie zunächst fühlen. Man muss Worte finden, um das Problem zu verstehen, bevor man Lösungen beschreibt.
In den Interviews mit von finanzieller Gewalt betroffenen Frauen, die ich geführt habe, wird deutlich, wie sie finanzielle Gewalt durch ihre Partner und Ex-Partner, aber auch Anwälte, Notare, Ämter und RichterInnen erlebt haben und erleben. Deut-lich wird bei allen Frauen die Tendenz, sich schuldig für ihre eigene »Dummheit« zu fühlen. Wer ihnen zuhört, versteht, dass sie ihre rückblickend »falschen« Entscheidungen in Situationen getroffen haben, in denen ihre Priorität auf den Bedürfnissen ihrer Kinder, ihrer Familie, ihres Partners lag. Sie hatten keine Kapazität, um ihre finanziellen Interessen wirksam zu vertreten. Indem man Frauen einzureden versucht, sie müssten einfach beizeiten Vorsorge treffen, werden ihre Schuldgefühle verstärkt. In allen Interviews wird nachvollziehbar geschildert, dass die Gewalt als Überrumpelung erlebt wurde, auf die man gerade nicht vorbereitet war — und auch nicht sein kann. Die Verantwortung für finanzielle Gewalt gegen Frauen liegt nicht bei ihnen, sie ist auch nicht ihrer mangelnden Wachsamkeit und Eigenfürsorge geschuldet, sondern sie liegt bei ihren Partnern und Ex-Partnern, deren Handeln legitimiert wird von staatlichen, rechtlichen und sozialen Strukturen, die das patriarchale Erbe der letzten Jahr- hunderte noch nicht abgestreift haben.
Im bekannten »Rad der Gewalt«, das die verschiedenen Dimensionen der sogenannten »häuslichen Gewalt« veranschaulicht (die besser Beziehungsgewalt genannt würde), wird »wirtschaftliche Gewalt« meist mit »Entzug von Geld« oder »Verbot von Erwerbstätigkeit« gleichgesetzt. Beides sind mögliche, aber nicht die alleinigen Ausprägungen finanzieller Gewalt. Das entscheidende Alleinstellungsmerkmal finanzieller Gewalt im »Rad der Gewalt« ist seine gesellschaftliche Legitimation. Während körperliche Gewalt und Gewalt gegen die sexuelle Autonomie zur Anzeige gebracht werden kann, scheint finanzielle Gewalt in Beziehungen nicht strafbar zu sein.
Dieser Eindruck trügt. Nicht nur im wirtschaftlichen oder öffentlichen Bereich ist finanzielle Gewalt strafbar, sondern auch in privaten Beziehungen. Das Strafgesetzbuch kennt alle Varianten finanzieller Gewalt, von Diebstahl bis zu Erpressung, Nötigung und Betrug. Bereits in meinem Buch Bis das Geld euch scheidet (2005) verwende ich bewusst den Begriff finanzieller Gewalt, um deutlich zu machen, dass es hierbei nicht um Einzelfälle geht, bei denen rückständige Ehemänner ihren Frauen verbieten, einen Job anzutreten.
Finanzielle Gewalt ist die einzige Dimension von Beziehungsgewalt, die von der Gesellschaft und Institutionen wie Behörden, Ämtern, Anwälten und Gerichten gedeckt, wenn nicht sogar unterstützt wird[1]. Finanzielle Gewalt gedeiht im Grenzbereich zwischen privatem und öffentlichem Bereich und ist ein Tabu, weil der Staat, der sie bekämpfen sollte, derselbe ist, der sie legitimiert — und teilweise von ihr profitiert.
Dass insbesondere Frauen zu Opfern finanzieller Beziehungsgewalt werden, liegt dabei schlicht daran, dass sie Frauen sind. In der BRD war es bis 1958 rechtens, dass das Vermögen einer Frau bei Eheschließung in das ihres Mannes überging. Bis 1977 musste sie ihn um Erlaubnis fragen, wenn sie erwerbstätig sein wollte. In der DDR galt das Ideal der sogenannten »werktätigen Frau«, die ihr Kind mit zwei Monaten in die Krippe geben sollte, um wie ihr Partner vollerwerbstätig zu sein. Was Kinder an Zeit und Zuwendung brauchen, war dem System der DDR so gleichgültig, wie es in der BRD gleichgültig war, wie es Hausfrauen in ihrer finanziellen Abhängigkeit von ihrem Ehemann ging. Die nach 1945 unterschiedliche sozialpolitische Entwicklung in BRD und DDR wird heute dazu benutzt, um Frauen gegeneinander auszuspielen. Dabei wird finanzielle Gleichberechtigung nicht dadurch erreicht, dass Frauen erwerbstätig sind und für ihre Erwerbstätigkeit den gleichen Lohn wie Männer erhalten. Finanzielle Gleichberechtigung setzt voraus, dass das Geld, das in Familien fließt, dort fair geteilt wird.
Oft ist die Rede von der »Kinderfalle«, die zu weiblicher Armut führe. Tatsächlich schneidet Deutschland im europäischen Vergleich weiblicher Armut besonders schlecht ab. Deutsche Männer haben offenbar größere Schwierigkeiten als andere, ihre Einkünfte und ihr Vermögen mit ihren Frauen zu teilen. Das größte Armutsrisiko von Frauen sind nicht Kinder, sondern Männer. Weibliche Armut ist das Ergebnis finanzieller Gewalt.
Die Täter sind nicht nur Männer, sondern auch Frauen tragen Verantwortung. Als Anwältinnen, Richterinnen, Gutachterinnen, Verfahrensbeistände, Sachbearbeiterinnen, Abteilungsleiterinnen. In Ämtern, Behörden, Kanzleien. Wenn alle Männer und alle Frauen, die in Positionen sind, wo sie politischen, medialen und öffentlichen Einfluss haben, sich erinnern würden, was es bedeutet, für ein krankes Kind zu sorgen, das keine Nacht durchschläft und dem egal ist, ob die Karriereleiter seiner Eltern einen Knick erleidet, würde das nötige Bewusstsein entstehen, um an allen Orten, allen Gesetzen, allen Bildungseinrichtungen, allen Behörden die Maßnahmen zu ergreifen, damit weiblicher Armut der Kampf angesagt wird. Ein echter Kampf, kein Verbalgefecht in Sonntagsreden.
Nicht alle Menschen werden Mutter. Aber alle Menschen haben eine. Von unseren Müttern sollten wir alle gelernt haben, dass die Fokussierung von Müttern auf ihre Kinder, je kleiner sie sind, desto überlebenswichtiger ist. Es handelt sich hierbei nicht um ein evolutionsgeschichtliches Relikt, das man am besten loswerden sollte, sondern für alle Kinder ist es überlebensnotwendig, dass es erwachsene Menschen auf dieser Welt gibt, für die sie Priorität Nummer Eins haben. Wenn eine Mutter in einer Gewaltbeziehung gefangen ist, geht sie oft erst, wenn ihr Kind angegriffen wird. Bis dahin will sie die Familie erhalten. Um ihre Familie zu schützen, sieht sie von sich selbst ab.
Frauen, die zu Opfern finanzieller Gewalt werden, sind überfordert, ihre Gleichberechtigung aus dem Stand der Diskriminierung heraus zu verändern. Sie brauchen die Unterstützung derjenigen, die in einer vergleichsweise privilegierten Position sind. Als Frau, die selbst von finanzieller Gewalt betroffen war, appelliere ich an alle, denen Gleichberechtigung ein Anliegen ist, dass sie den vielen Frauen, die — in welcher Familienform auch immer — emotionale und soziale Verantwortung für ihre Familie übernehmen, zuhören, bevor sie urteilen. Ich wünsche mir offene Ohren für Menschen, deren Sprache durch kein Medientraining ging. Die Welt ist voller kluger, fach- und sachkundiger Menschen, die genauer sagen können als eine Autorin, wie ich es bin, wo an- gesetzt werden muss, um die Verwirklichung finanzieller Gleichberechtigung zu erreichen. Der politische Wille kann nur in öffentlicher Auseinandersetzung gebildet werden. Die Aufgabenstellung ist einfach. Die Hälfte eines jeden Volkes sind Frauen. Erst wenn sie über 50Prozent des finanziellen Vermögens, der finanziellen Absicherung und der finanziellen Mittel verfügen, die gesamtgesellschaftlich vorhanden ist, ist Gleichberechtigung umgesetzt. Um dieses Ziel zu erreichen, sind wir alle gefordert — vor allem aber all die, die nicht gerade ein Kind hüten, das die Nächte zum Tag macht. Berlin, 2024
[1] Siehe hierzu die Publikation »Mütter klagen an« von Christina Mundlos, 2023, und meine Besprechung im »Freitag«, 09/2023.

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