Familienrecht in der Krise – Plädoyer für eine humanistische Zeitenwende

Autor: Dr. Wolfgang Hammer

Als Autor der Studien Familienrecht in Deutschland (4/22) und Macht und Kontrolle in Familiengerichtlichen Verfahren (11/24) erstellt Dr. Wolfgang Hammer einen kommentierten Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Bereich struktureller Gewalt gegenüber Frauen und Kindern in familiengerichtlichen Verfahren. Schwerpunkte sind ein Blick auf die Rechtsprechung seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ein Überblick über den Verbreitungsgrad und eine gesellschaftspolitische Einordnung.

Familienrecht in der Krise – Plädoyer für eine humanistische Zeitenwende

Die wesentlichen Prüfsteine einer auf Zukunftsfähigkeit ausgerichteten Gesellschaft liegen zum einen in der Evidenzbasierung möglichst vieler Entscheidungen in allen Politikbereichen und in der kooperativen und friedvollen Gestaltung des gesellschaftlichen Miteinander.

Das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in öffentlicher Verantwortung und Geschlechterverhältnisse auf Augenhöhe sind damit kein „Gedöns“ (zitiert nach Gerhard Schröder), sondern zentrale Voraussetzungen für gesellschaftlichen Wandel und wirtschaftliche und soziale Stabilität.

Wenn aber eine Vielzahl von staatlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen nicht mehr auf der Basis gesicherten Wissens sondern als Reflex auf Mythen und Scheinwahrheiten erfolgt, gefährden wir alle Errungenschaften der Aufklärung seit Ende des Mittelalters, denen wir nicht nur die Verankerung der Menschenrechte, sondern auch eine demokratische Staatsverfassung und eine unabhängige Justiz zu verdanken haben.

Ein zweiter Prüfstein sind die Machtverhältnisse zwischen Staat und Individuen, zwischen Starken und Schwachen und der Schutz vor Machtmissbrauch. Der Kampf gegen alle Formen von Gewalt gegenüber Frauen und Kindern muss dabei höchst Priorität haben.

Wenn Staat und Justiz in familienrechtlichen Verfahren zu strukturellen Mittätern werden, anstatt ihre Schutzfunktion wahrzunehmen, wird der Rechtsstaat für die Betroffenen zum Unrechtsstaat. Wenn Staat und Gesellschaft, Gutachter*innen, Jugendämter und Familiengerichte sich in ihren Beurteilungen und Entscheidungen auf fake News berufen und Gewalt und das Recht des Stärkeren wieder hoffähig werden, sind wir mitten im Marsch zurück ins Mittelalter.

Welche Dynamik diese Entwicklung angenommen hat, soll in den nahfolgenden Gliederungspunkten erklärt und belegt werden.

Beide Entwicklungen haben eine so bedrohliche Dimension in Deutschland erreicht, dass wir dringend eine humanistische Zeitenwende brauchen, die auf der Agenda einer neuen Bundesregierung und eines neuen Bundestags vornan stehen müssen.

1. Frauen – und Kinderechte zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Ich wollte als junger Mann wie viele junge Frauen und Männer meiner Zeit (Jahrgang 1948) in einer Welt leben, in der alle Menschen die gleichen Rechte haben. Ich wusste, dass dazu viele Kämpfe nötig sein würden, um das Ziel zu erreichen.

Gewalt und Unterdrückung in allen Formen habe ich als Kind als akzeptierten Bestandteil des Alltags erlebt. Da ich in meiner Familie nie Gewalt erfahren habe, war ich stets in der Rolle des Beobachters. Das Schlagen von Kindern war ein Erziehungsmittel und moralisch und religiös legitimiert. Und wo die Kinder geschlagen wurden, wurden auch die Frauen geschlagen.

In meiner Schulzeit ist das Thema Menschenrechte mehrfach angesprochen worden – immer unter den Aspekten: Rassismus, Antisemitismus und religiöse Intoleranz. Gewalt und Unterdrückung von Frauen und Kindern stand bis zum Abitur 1967 nicht auf dem Lehrplan.

Ich wusste auch, dass zwischen gleichen Rechten im Gesetz und Rechten im Alltag oft eine Lücke klafft.

In keinem Bereich war und ist diese Lücke bis heute so sichtbar wie im Geschlechterverhältnis, und im Verhältnis zu Kindern, wenn die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung und die Rechte der Kinder in der UN-Kinderrechtskonvention weder durch den Staat gesichert noch in der Gesellschaft mehrheitlich gewollt ist.

Die rechtliche Stärkung von Frauen und deren gesellschaftliche Auswirkungen gehören zu den positiven Erfahrungen meines Lebens. Ohne Feminismus wäre dieses Ziel nicht erreicht worden.

Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer haben mein Leben ebenso beeinflusst wie Martin Luther King und Janusz Korczak.

Eine weitere Erfahrung ist die Erkenntnis, dass immer dann, wenn es Frauen schlecht geht auch den Kindern Leid droht.

Gewaltfreiheit im umfassenden Sinne ist die Voraussetzung zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Werden Frauen diskriminiert und benachteiligt, leiden die Kinder. Wenn Frauenrechte unterlaufen werden, werden auch Kinderechte nachrangig.

Nun muss ich zur Kenntnis nehmen, dass in den letzten Jahren wieder frauenfeindliche Narrative zunehmend gesellschaftsfähig geworden sind, dass die Sehnsucht nach vermeintlich starken Männern und traditionellen Rollenmustern steigt und Gewalt gegenüber Kindern und Frauen nicht nur zunimmt, sondern auch deren gesellschaftliche Akzeptanz.

Das ist einer der Gründe warum frauenfeindliche und das Kindeswohl bedrohende Entscheidungen von Familiengerichten und Jugendämtern sich verbreiten konnten und die betroffenen Frauen und Kinder bis heute nicht einmal die Gelegenheit bekamen angehört zu werden.

Bedrückend hierbei ist die Tatsache, dass Politik und Justiz oft nicht nur tatenlos zuschauen, sondern erst die strukturellen Voraussetzungen dafür geschaffen haben.

Wieder werden Frauenrechte und Kinderrechte insbesondere der Schutz vor Gewalt bagatellisiert und ignoriert, zu deren Einhaltung sich Deutschland mit der UN – Kinderrechtskonvention und der Istanbulkonvention verpflichtet hat.

Während die Frauen in Frankreich parteiübergreifend feiern können, dass das Recht auf Abtreibung in die Verfassung aufgenommen wurde, kämpfen Frauen in Deutschland gegen machtvolle patriarchalische Männerbünde, die es sogar geschafft haben, auf Entscheidungen von Gerichten und Jugendämtern Einfluss zu nehmen und alleinerziehende Frauen von ihren Kindern zu trennen.

Dahinter steht nicht nur das Bedürfnis narzisstischer Männer und ihrer Seilschaften, es Frauen auf Kosten der Kinder heimzuzahlen und weiter Macht und Kontrolle auszuüben, sondern auch ein massives wirtschaftliches Interesse, sich weiter aus dem Fundus unwissenschaftlicher Gutachten und Pseudo-Fortbildungen von mind. zwei Milliarden Euro bedienen zu können.

Inzwischen habe ich seit 2012 zu mehr als viertausend Müttern Kontakt gehabt, die das erlebt haben. Weitere gut 6000 Kinder waren diesen Müttern anvertraut, denen ihre Beteiligungsrechte verwehrt wurden und denen der Schutz vor Gewalt verweigert wurde.

Wie viele sind es wirklich, wenn der Staat bereit wäre, Licht in das Dunkelfeld zu bringen?

2. Ausgangslage und Rückblick

Die Ergebnisse der 2022 veröffentlichten Studie „Familienrecht in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme“ haben inzwischen nicht nur in Deutschland sondern auch international eine breite Bestätigung gefunden, noch zumal sie im Kern durch den Deutschlandbericht der Expertengruppe (GREVIO) des Europarats im Oktober 2022, den Bericht der UN-Sonderberichterstatterin Reem Alsalem 2023, dem Deutschen Institut für Menschenrechte und in einer Terre des Femmes – Studie der Universität Bielefeld sowie in zahlreichen Recherchen investigativer Journalist*innen in ihrem strukturellen Charakter nachgewiesen wurden.

Im Zentrum steht die Offenlegung des Zusammenspiels individueller männlicher Gewalt und institutioneller Gewalt durch Staat und Justiz in familienrechtlichen Verfahren.

Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit einer durchgängigen faktischen gesellschaftlichen und politischen Tradition, die grundgesetzlich verankerte Gleichstellung aller Menschen immer dann, wenn es um Frauen und Kinder geht, zu unterlaufen oder zu ignorieren.

Bis in die 50er Jahre wurden Frauen durch das Lehrerinnenzölibat daran gehindert, Beruf und Familie miteinander zu verbinden, obwohl schon 1919 mit der Weimarer Verfassung das sog. Lehrerinnenzölibat abgeschafft wurde. Dennoch haben die Kultusministerien einiger Bundesländer, insbesondere in Baden-Württemberg, das rechtswidrige Konstrukt in Arbeitsverträgen mit Lehrerinnen festgeschrieben, die bei einer Heirat dadurch ihren Job verloren. Erst 1957 erklärte das Bundesverfassungsgericht diese Praxis für verfassungswidrig.

Bis 1962 durften Frauen nur mit schriftlicher Zustimmung ihres Mannes ein Konto eröffnen,

Bis 1977 brauchten Frauen nach einer Eheschließung die Erlaubnis ihres Ehemannes, um einen Arbeitsvertrag abzuschließen. Faktisch waren sie dadurch weiter abhängig von Ihren Männern, wenn sie einen Mietvertrag abschließen oder ein Konto eröffnen wollten.

Bis in die 90er Jahre standen alleinerziehende Frauen unter dem Generalverdacht der Erziehungsunfähigkeit und ihre Kinder unter Vormundschaft der Jugendämter. Selbst im Einigungsvertrag von 1989 konnten ostdeutsche und westdeutsche Frauen es nicht erreichen, diesen Zwang zur Amtsvormundschaft abzuschaffen, während jeder alleinerziehende Mann per se von der westdeutschen Gesellschaft als erziehungsfähig angesehen wurde.

Mütter, die ihre Kinder in Krippen betreuen ließen, galten als Rabenmütter und erst lange nach der Jahrtausendwende gab es in Deutschland den Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung, der in anderen europäischen Ländern für viele Frauen längst eine Selbstverständlichkeit war. 

Dieser Rechtsanspruch wird bis heute durch fehlende Plätze, schlechte Standards, hohe Elternbeiträge und unzureichende Öffnungszeiten je nach Region eingeschränkt und unterlaufen. Leidtragende sind wieder einmal Frauen, die dadurch in ihren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt werden und deren Einkommen und Renten, hinter denen der Männer zurückbleiben.

Leidtragende dieser deutschen Tradition sind bis heute auch immer Kinder, deren gedeihliche Entwicklung durch vielfach halbherzige und unterfinanzierte Angebote der Bildung und Betreuung beeinträchtigt wird. Das Ganze geschieht trotz eines seit mehr einer Dekade bestehenden Rechtsanspruchs auf eine bedarfsgerechte Bildung und Betreuung, den sowohl die Eltern als auch die Kinder haben.

Die Evaluation der Coronapolitik durch das Deutsche Jugendinstitut zeigt die fatalen Folgen für Frauen vor allem aber für Kinder auf, von denen viele irreparable Schäden erlitten und erhebliche Bildungsrückstände hinnehmen mussten.

Der Versuch Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen ist u.a. gescheitert, weil Ablehnung eines Vorrangs der Kinderrechte, wie sie in Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention niedergelegt ist, nicht einmal die Hürde zum Gesetzesentwurf schaffte.

Mit dem Zulassen frauenfeindlicher und das Kindeswohl gefährdender Narrative ist eine neue Unterdrückungsform entstanden, der selbst erfolgreiche starke Frauen oft hilflos ausgeliefert sind, weil sie ihre Kinder schützen wollen.

3. Wie konnte es dazu kommen?

In Deutschland ist die gesellschaftliche Akzeptanz eigenständiger Kinder- und Frauenrechte instabil und erheblichen Schwankungen im Zeitgeist ausgesetzt. Dies ist u.a. auf gravierende Vorbelastungen zurückzuführen:

Michael Winterhoff und die Schwarze Pädagogik

Die hartnäckigste Vorbelastung ist die ideologische Legitimation der ungleichen Machtverhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen (Adultismus) in der grauen Pädagogik, der auch schon Sokrates den Weg bereitet hat. Danach sind Erwachsene quasi naturhaft übergeordnet. Die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen sind nachrangig oder sogar völlig zu ignorieren.

Von diesem Hintergrund werden Entscheidungen erklärbar, aber nicht entschuldbar, dass in Jugendämtern und Familiengerichten Bedürfnisäußerungen von Kindern häufig nicht berücksichtigt werden.

Die Tatsache, dass der Psychiater Winterhoff jahrelang Kinder und Jugendliche wegen zu enger Beziehungen zu ihren Müttern als gestört und krank diagnostizieren, krankschreiben und in Einrichtungen mit entwürdigenden Erziehungsmethoden verbringen konnte, war nur möglich, weil er mit seinen Thesen auf einem gesellschaftlich verankerten Grundkonsens aufbauen konnte:

  • Kinder sind zunehmend verhaltensgestört, weil die Eltern (gemeint waren stets die Mütter) sie nicht streng reglementieren.
  • Kinder und Jugendliche sind Tyrannen, die die Zukunft der Gesellschaft gefährden.

Entgegen den wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden falsche Diagnosen wie „frühkindlicher Narzissmus “ und “symbiotische Mutter-Kind-Beziehung“ erstellt und Kindern schädliche Neuroleptika (Pipamperon) verabreicht, um dann in Einrichtungen mit Methoden der Freiheitseinschränkungen und Kontaktsperren zur Familie sediert behandelt zu werden. Die hohe Präsenz in den Medien als gefeierter Quotenbringer hatte Winterhoff jahrelang nahezu unangreifbar gemacht. Erst in diesem Jahr muss sich Winterhoff dafür vor Gericht verantworten.

Die am Unrecht beteiligten Jugendämter und Heimaufsichten haben bis heute ihre fatale Rolle dabei weder aufgearbeitet noch Entschädigung geleistet.

Nationalsozialistische Erziehungskonzepte wirken noch immer

Die Ablehnung eines Erziehungsideals, die Bedürfnisse der Kinder ernstzunehmend, hat eine ihrer Wurzeln auch im Nationalsozialismus. Die zentralen Begründungen einer die Bedürfnisse der Kinder bewusst zu unterdrückenden Maxime, liefert die Ärztin und Chef-Ideologin im Nationalsozialistischen Deutschland, Johanna Haarer.

Ihr erfolgreichstes Werk war der 1934 veröffentlichte Erziehungsratgeber: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind. Darin wird Müttern gezeigt, wie sie ab der Geburt systematisch die Bedürfnisse der Kinder unterdrücken sollen, um gefühlsmäßige Bindungen an Menschen zu verhindern, damit sie hart wie Kruppstahl werden, um ihrem Staat bedingungslos dienen zu können. Eine enge Mutter-Kind-Bindung war damit eine dem Volk schadende symbiotische Beziehung.

Dieses Buch war nicht nur in der Mütterbildung und im BDM (Bund Deutscher Mädel) verpflichtender Unterrichtsstoff, sondern bis in die siebziger Jahre auch Bestandteil der Ausbildung von Erzieher*innen und Hebammen. Im Nachkriegsdeutschland hatte das Werk noch über vier Jahrzehnte seine Wirkung entfalten können. Von 1953-1986 waren 1,3 Millionen Exemplare verkauft worden und von den ca. 5 Millionen Ratgebern aus der Nazi-Zeit lagen noch zahlreiche Exemplare in den Bücherschränken deutscher Familien. Die letzte Auflage erschien im Jahr 1987.

Nun sind diese Ideologien wieder gesellschaftsfähig geworden und fanden zunehmend Eingang in Beschlussbegründungen von Jugendämtern und Familiengerichten bei Sorgerechts-Entscheidungen.

Diese ideologischen wissenschaftlich unhaltbaren Narrative zerstören Lebensläufe von Kindern und helfen Tätern weiter Kontrolle, Gewalt und Missbrauch von Frauen und Kindern fortzusetzen.

4. Unwissenschaftliche Mythen als Begründungen für Grundrechtseingriffe

Die Forschergruppe Altendorfer-Kling/Kliemann/Fegert veröffentlichte 2024 (Forum Familienrecht/3/2024) das Ergebnis einer Auswertung von Gutachten und familiengerichtlichen Entscheidungen in Deutschland und Österreich unter dem Titel „Fachtermini aus Medizin und Psychologie als Plädier- Formeln im Recht – PAS und andere Mythen ohne Evidenzbasierung“.

Sie identifizierten dabei circa zwanzig in Gutachten verwendete Begriffe (Seite 107), „die nicht in den aktuellen international anerkannten Klassifikationsschemata aufgeführt sind “. Sie stellen dazu fest, dass diese Mythen nach aktuellem Stand der Wissenschaft zurückzuweisen sind.

Die mangelnde Einhaltung von Mindeststandards bei der Erstellung von Gutachten und das Fehlen jeglicher Qualitätskontrolle hat zu einer Vielzahl wissenschaftlich untragbarer Pseudo-Gutachten geführt, an denen sich Gerichte und Jugendämter orientieren und daraus Grundrechtseingriffe ableiten.

Auf der Basis dieser Mythen werden:

  • Kinder von ihren Müttern getrennt
  • Kinder zu Umgängen mit narzisstischen und Gewalt ausübenden Vätern gezwungen
  • Kinder gegen ihren Willen in Heimen untergebracht und mittels Kontaktverboten zu ihren Familien ihrer Rechte beraubt
  • die Erfahrungen und Einschätzungen von Ärzt*innen , Erzieher*innen, Lehrer*innen, Psycholog*innen ignoriert
  • die Beteiligungsrechte von Kindern und der Kindeswillen ausgehebelt
  • Mütter und Kinder in jahrelangen Verfahren zermürbt
  • Steuergelder die zur Förderung und zum Schutz der Kinder zur Verfügung stehen zweckentfremdet, um Familien zu zerschlagen und Kinder dauerhaft zu schädigen.

5. Der wegweisende Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.11.2023 und die Beliebigkeit sich daran zu orientieren

Ein Urteil, das diese unwissenschaftlichen Narrative und ihre Folgen für Mütter und Kinder sichtbar macht, ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.11.2023, mit dem ein Beschluss des OLG Köln vom 17.5.23 aufgehoben wurde.

Das Urteil liefert eine exemplarische Analyse eines Falles, der für das System steht:

  • Rechtswidrige, gewaltsame Inobhutnahme kleiner Kinder mit mehreren Polizeieinsätzen
  • unwissenschaftliche Narrative als Begründung (PAS, Bindungsintoleranz)
  • keine Berücksichtigung vorliegender Beweismittel (Gutachten, fachliche Stellungnahmen)
  • die Weigerung der Mutter einem Wechselmodell zuzustimmen, wird als mangelnde Kooperationsbereitschaft ausgelegt
  • die Hinweise auf häusliche Gewalt werden ignoriert

Dieser Beschluss hatte bisher nur teilweise eine Orientierungsfunktion in der Rechtsprechung zur Folge. Das zeigen positiv eine Reihe von Beschlüssen der Oberlandesgerichte Frankfurt am Main vom 10.9.24 (Az.: 6UF 11/24), Nürnberg vom 16.5.24 (Az.11 UF 329/24) und Saarbrücken vom 17.4.24 (Az.6 UF 22/24) aus dem Jahr 2024.

Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang eine jüngst ergangene Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 29.1.25. (Az. UF 186/24), mit der der Entzug des Sorgerechts und dessen Übertragung auf das Jugendamt sowie eine Zwangseinweisung der betroffenen Kinder in eine Wohngruppe aufgehoben wurde.

Genau solche Fälle nehmen zurzeit wieder zu, bei denen die Jugendämter entweder Mittäter waren oder nicht den Mut hatten, gegen den Beschluss des jeweiligen Familiengerichts zu klagen.

In vielen Verfahren werden bis heute entsprechende wissenschaftlich widerlegte Mythen von Jugendämtern und Familiengerichten genutzt, um Umgänge zu erzwingen und Kinder von ihren Müttern zu trennen. Ebenso gibt es weiterhin Fortbildungen, in denen diese Mythen als Pseudo-Fachwissen vermittelt werden.

6. Exkurs: Hinweis auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

Inzwischen erhalte ich wieder mehr Hinweise über eine Zunahme von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen als Folge von zwangsweise durchgesetzten Umgangsregelungen und Fremdunterbringungen.

Nach wie vor raten viele anwaltliche Vertretungen den Müttern davon ab, diese Hinweise im Verfahren gegenüber dem Jugendamt oder dem Gericht anzusprechen, da ihnen mit dem Entzug des Sorgerechts gedroht wird. In vielen Fällen sind diese Hinweise durch behandelnde Ärzte und auffälliges sexualisiertes Verhalten im sozialen Umfeld erhärtet. Auch klaren wiederholten Beschwerden von betroffenen Mädchen wird nicht nachgegangen und die Mädchen werden davon abgehalten, Anzeige gegen die Täter zu erstatten oder sich an Fachberatungsstellen zu wenden.

Allein seit Jahresbeginn 2025 liegen mir 12 Fälle vor, in denen Mädchen der Altersgruppe 12 – 14 Jahre darauf hinweisen, dass sie während der Besuchskontakte nackt im Bett des Vaters/Betreuers schlafen mussten, beim Duschen im Intimbereich gewaschen wurden und bei Selbstbefriedigungshandlungen zuschauen oder „helfen“ mussten.

All diese Mädchen wurden der Lüge und der Manipulation durch ihre Mütter beschuldigt.

7. Die Bagatellisierung des Verbreitungsgrades unwissenschaftlicher Mythen in familiengerichtlichen Verfahren

Die anhaltenden Versuche der letzten Jahre, das Problem seitens der organisierten Richterschaft zu leugnen, haben sich angesichts der Beweisdichte nicht mehr aufrechterhalten lassen. Aktuell erleben wir nun eine Entwicklung hin zu einer Bagatellisierung.

Stellvertretend dafür steht die Aussage des Richters und Direktors des Deutschen Familiengerichtstags, Andreas Frank: „Ich kenne keine Richterin und keinen Richter, der oder die dieses krude Konzept noch anwenden“ mit Bezug auf die Theorie vom „Parental Alienation Syndrome “ (Interview mit Ronen Steinke in der SZ v. 30.12.24).

Diese Aussage steht im krassen Gegensatz zu den Erkenntnissen der letzten 16 Monate nach dem o.g. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 (s.o.), mit der eine Praxis des OLG Köln, sich an PAS, zu orientieren, offenbart wurde.

Auch sämtliche darauf basierende Urteile von Oberlandesgerichten aus den Jahren 2024 und 2025 zeigen auf, dass zuvor entsprechende Mythen Grundlage von Entscheidungen in Jugendämtern und Familiengerichten waren, die durch die Beschlüsse der o.a. Oberlandesgerichte erst aufgehoben wurden.

Sabine Heinke (langjährige Familienrichterin in Bremen) hat ihre Erfahrungen mit ihrer Co-Autorin Karin Bülthoff in einem Aufsatz in der juristischen Fachzeitschrift STREIT 2/2024 ) betitelt: Das Verschwinden häuslicher Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren.

Sie belegt damit die systemimmanente Bagatellisierung oder Ignoranz gegenüber häuslicher Gewalt als Wesensmerkmal in Verfahren.

Ein Investigativ-Team der ARD hat in der Sendung (Report Mainz 4.6.24) nachgewiesen, dass Fortbildungen für Jugendämter und Richterschaft von Väterrechtlern im Sinne des PA -Vorannahme organisiert werden.

Die Richterin am OLG Frankfurt, Gudrun Lies-Benachbib, macht in diesem Beitrag die Aussage: „Wenn ein sehr junger Familienrichter eine Fortbildung bekommt in dem das PAS als Erklärungsmodell verwendet wird, dann ist die Gefahr gegeben, dass dieser junge Richter das fortan glaubt. Und wenn sich das ereignet, dann hat eine gute Familienjustiz schlicht verloren.“

In dem 2024 erschienen Aufsatz der Forschergruppe um Altendorfer- Kling/Kliemann/Fegert (s.o.) werden mehr als ein Dutzend medizinisch psychologische Mythen (u.a. auch PAS und Bindungsintoleranz) in familiengerichtlichen Gutachten und Entscheidungen in Deutschland und Österreich nachgewiesen.

In der Sachverständigen-Anhörung des Berliner Abgeordnetenhauses am 28.11. 2024 zum Thema häusliche Gewalt (siehe Mediathek des Berliner Abgeordnetenhauses) wurden von allen Expertinnen aus Berlin klare Aussagen getroffen, dass die oben angeführten Mythen in Verbindung mit einem Bagatellisieren häuslicher Gewalt zu den Alltagserfahrungen in Berlin gehören, also struktureller Art sind.

Nur einen Tag später, am 29.11.24, erläutert die Frauenbeauftragte der Gewerkschaft der Polizei, Angelique Yumusak, in einer Presseerklärung „wie der Gewaltschutz durch das Umgangsrecht an Familiengerichten ausgehebelt wird.“

Der renommierte Journalist Matthias Meisner belegt in seinem Beitrag in den Blättern für deutsche und internationale Politik (1/2025), dass noch gut ein halbes Jahr nach dem Urteil des BVerG in einer vom Sächsischen Justizministerium veranstalteten Richterfortbildung eine Vertreterin der PAS- Lobby als Referentin ihre Mythen verbreiten konnte.

In einer Presseerklärung vom 21.11.24 anlässlich ihrer Fachtagung in Hannover, kommen die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten aus dem gesamten Bundesgebiet nach ihrem Erfahrungsaustausch zu der Bewertung: „Insbesondere in Sorge- oder Familienrechtsverfahren wird – entgegen menschenrechtlichen Verpflichtungen – der Gewaltschutz betroffener Frauen regelmäßig missachtet.“ Die Teilnehmer*innen sehen sich in ihren Erfahrungen durch die Ergebnisse der Studie „Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren“ (Hammer 11/2024) bestätigt.

Zur gleichen Bewertung kamen die ca. 120 Teilnehmer*innen eines Fachtages des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes am 14.11.24 in Cuxhaven und die rund 80 Teilnehmer*innen einer Fachveranstaltung des Runden Tischs Häusliche Gewalt in Hamburg und auch bei einem Fachtag des Koordinierungsstelle Häusliche Gewalt am 11.2.25 in Bad Segeberg am 7.3.25.

Bei dem Webinar des feministischen Alleinerziehenden Verbandes FEM.A in Österreich am Weltfrauentag (8.3.25) waren 267 betroffene Frauen zugeschaltet davon viele aus Deutschland.

Wer aufgrund dieser Belege noch den hohen Verbreitungsgrad infrage stellt oder die Aktualität des Problems leugnet, kann nicht mehr ernst genommen werden.

8. Fazit

Deutschland braucht eine humanistische Zeitenwende gegen eine rückwärts gerichtete gesellschaftliche und politische Entwicklung, in der Wissen ignoriert und „fake News“ zur Grundlage von Entscheidungen genommen werden, um Kinder von ihren Müttern zu trennen und gewaltaffinen, rachsüchtigen Männern die Fortsetzung von Macht und Kontrolle zu ermöglichen.

Gewaltfreie Beziehungen zwischen Männern und Frauen, zwischen Eltern und Kindern, die durch Respekt und der Anerkennung gleicher Rechte für alle geprägt sind, sind die zentrale Zukunftsvision für unser Zusammenleben. Es gibt dazu keine Alternative.

Ein Staat, der ideologisch beeinflussten Jugendämtern und Familiengerichten weiter das Feld überlässt, ist verantwortlich dafür, wenn täglich Kinder und Frauen erneuter Gewalt aussetzt werden und der Rechtsstaat zum Unrechtsstaat wird.

Der Missbrauch von Mythen in familienrechtlichen Verfahren, insbesondere durch die Etablierung des PAS, vollzieht sich schon seit Anfang dieses Jahrtausends. Schon 2001 hat Jörg Fegert, der Ärztliche Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Ulm, in seinem Aufsatz „Parental Alienation Syndrome oder Parental Accusation Syndrome“ darauf hingewiesen.

Nach nunmehr 25 Jahren der Ignoranz und des Nicht-Handelns auf politischer Ebene, muss die Aufarbeitung dieser antihumanistischen Entwicklung durch den neuen Deutschen Bundestag in einer Enquetekommission und durch eine neue Bundesregierung durch eine ideologiefreie Familienrechtsreform ganz oben auf der Agenda stehen.

Über den Autor:

Dr. Wolfgang Hammer ist ein deutscher Soziologe, der sich intensiv mit den Strukturen und Dynamiken familienrechtlicher Verfahren in Deutschland auseinandersetzt. Vor seiner Pensionierung im Jahr 2013 leitete er über drei Jahrzehnte die Abteilung Kinder- und Jugendhilfe in der Sozialbehörde Hamburg. Auch nach seinem Ruhestand engagiert er sich weiterhin als freiberuflicher Soziologe und setzt sich für die Stärkung von Kinderrechten ein. ​

Im November 2024 veröffentlichte er die Studie „Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren. Eine Analyse medialer Falldokumentationen“, in der er gemeinsam mit einem anonymen Team 154 familienrechtliche Fälle untersuchte, die in den Medien dokumentiert wurden. Die Studie deckte auf, dass Mütter in solchen Verfahren häufig Vorverurteilungen erfahren, was den Schutz von Kindern und Müttern beeinträchtigen kann. Hammer kritisierte insbesondere die Anwendung des umstrittenen Konzepts des Parental Alienation Syndrome (PAS) in Jugendämtern und Familiengerichten, das seiner Meinung nach zu einer systematischen Täter-Opfer-Umkehr führt und den Gleichheitsgrundsatz verletzt.

Dr. Hammer lebt und arbeitet in der Nähe von Hamburg. Seine langjährige Erfahrung und sein Engagement haben ihn zu einem anerkannten Experten auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe gemacht. In seiner Freizeit widmet er sich weiterhin dem Zuhören und der Auswertung von Leidensgeschichten, um auf Missstände aufmerksam zu machen und Verbesserungen im System anzustoßen.

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