Wir stehen hier, weil wir die himmelschreiende und tagtägliche und ständig wiederholende Gewalt an Frauen und Mädchen und Kindern nicht mehr ertragen können und wollen.
Rede von Maria Rösslhumer, Gewaltschutzexpertin auf der Pressekonferenz am 7.März 2024 anläßlich des internationalen Frauentages.
Wir stehen heute hier, weil wir eine radikale und fundamentale Veränderung in der Gesellschaft fordern.
Wir stehen heute hier, weil wir einen politischen Wandel fordern. Wir wollen keine Oberflächenbehandlung mehr, wir wollen nachhaltige wirksame und effiziente Maßnahmen gegen Männergewalt an Frauen.
Weil Männergewalt an Frauen, Mädchen und Kinder endlich beendet werden muss.
Weil wir keinen einzigen und weiteren Femizid mehr haben wollen.
Wir stehen hier für alle Frauen, Mädchen und Kinder, die sind nicht wehren können, die tagtäglich dieser Gewalt ausgesetzt sind und oft keinen Ausweg finden oder lange nicht wissen, wie sie aus dieser verzweifelten Situation herauskommen, wie z.B. das zwölfjährige Mädchen, das von siebzehn Burschen monatelang systematisch misshandelt und vergewaltigt wurde.
Nach den vielen Femiziden der letzten Wochen wurde endlich über eine Gesamtstrategie gesprochen und dass die Regierung Verantwortung tragen will und dass alle, Ministerien, Bund, Länder und Gemeinden strategisch an einem Strang ziehen wollen. Das begrüßen wir und wir hoffen, dass es hier bald eine österreichweit koordinierte Zusammenarbeit gibt und dass der Vorsatz nicht auf die lange Bank geschoben wird.
Bei all diesen Vorgehen muss hinterfragt werden:
Wo liegt das Grundübel der Gewalt an Frauen? Was sind die Hauptursachen der Gewalt an Frauen und der Femizide? Warum wird Gewalt an Frauen, Mädchen und Kindern ausgeübt? Wie kann es sein, dass es überhaupt und immer wieder dazu kommt, systematisch?
Meiner und unserer Ansicht nach sind hier vier wesentliche Gründe zu nennen:
- Fehlende und tatsächliche Gleichstellung zwischen Frauen und Männern.
Wir haben keine wirksame Gleichstellungspolitik. Wir sind weit davon entfernt und wir entfernen uns immer mehr davon. Warum gibt es überhaupt noch immer einen Gender Pay Gap und einen Gender Pension Gap?
Warum gibt es noch immer keine Unterhaltsgarantie und keine flächendeckende leistbare Kinderbetreuung, etc. Solange es keine echte Gleichstellungspolitik gibt, wird das Ausmaß der Gewalt an Frauen nicht geringer werden, ganz im Gegenteil. Die Abhängigkeiten nehmen zu und die Gewaltspirale geht fröhlich und ungebremst weiter.
- Die tiefsitzende Frauenverachtung, der tief verankerte Hass gegen Frauen, der tagtägliche Sexismus in unserem patriarchalen System, gekoppelt mit toxischen männlichen Verhaltensmustern, wie Machtmissbrauch, Kontroll- und Besitzdenken und das Festhalten an den traditionellen Rollenmustern und Genderstereotypien. Gewalt an Frauen hat System.
Bei den Einstellungen und Werten in den Köpfen hat sich nicht viel verändert. Eine Erhebung aus Deutschland hat ergeben, dass jeder dritte junge Mann eine Ohrfeige zu verabreichen bei einem Streit für angebracht findet.
- Kaum ernsthafte Konsequenzen für gewaltausübende Männer. Und das wissen viele Männer ganz genau.
Wir haben viele Maßnahmen, viele Gesetze, aber sie greifen und wirken nicht oder viel zu wenig. Es scheitert immer wieder an der konsequenten Umsetzung der Maßnahmen und Gesetze. Wie kann es z.B. sein, dass fast jede polizeiliche Anzeige eingestellt wird? Wie kann es sein, dass Beweismittel nicht akribisch gesammelt werden, bevor es zu einer Einstellung kommt? Wie kann es sein, dass die Verurteilungsrate noch immer so gering ist? Wie kann es sein, dass die Strafverfahren bei Gewalt an Frauen noch immer so lange dauern? Prozesse, wo die betroffenen Frauen monatelang und jahrelang, Angst haben und seelisch und gesundheitlich zermürbt werden. Sie sind einerseits Partnergewalt aussetzen und danach, wenn sie es öffentlich gemacht haben, zusätzlich der institutionellen Gewalt ausgesetzt. Behörden sind oft der verlängerte Arm der Partnergewalt, da nicht ernsthaft gestoppt wird.
Dabei gibt es Länder, wie z.B. Spanien, wo die Verfahren viel kürzer dauern, wo es landesweit eigene Gerichte für häusliche Gewalt gibt, wo alle Justizbeamt*innen geschult und sensibilisiert sind und wissen, was Täterstrategien sind, was Manipulation bedeutet und was eine Gewaltdynamik ist. Sie wissen, Gewalttäter sind meist Wiederholungstäter und sie müssen rasch in ihrem Handeln gestoppt werden.
- Permanente Verharmlosung der Gewalt an Frauen und Mädchen. Das hat System. Da müssen sich alle Vertreter*innen von Institutionen und Einrichtungen an der eigenen Nase nehmen. Das passiert quer durch alle Behörden, wie Polizei, Justiz, Einrichtungen wie Kinder und Jugendhilfe, Medien, etc. Wir haben es immer noch damit zu tun, dass Gewalt an Frauen extrem verharmlost wird, nicht den Gewaltausübenden, sondern den Betroffenen die Verantwortung zugeschoben wird und sie nicht ernst genommen werden.
Vicitim Blaming und Opfer-Täter-Umkehr ist tief verankert in unserer Gesellschaft.
Eine ganz besonders schlimme Form von Victim Blaming ist, wenn es nach einem Femizid immer wieder heißt: das Problem sind die Frauen, sie hätten sich halt früher melden oder Hilfe holen müssen. Wie kann man sowas behaupten? Sie hätten sich halt nicht trennen dürfen, sie hätten, sich und die Kinder besser schützen müssen, etc.
Die Täter hingegen werden oft kaum genannt, sie werden geschützt bzw. als die Opfer dargestellt.
Die Hauptursache der Femiziden und Gewalt an Frauen liegt auch nicht bei der Migration, sie liegt nicht ausschließlich bei den Männern aus anderen Herkunftsländern. Wir haben sie auch zahlreich in unserer eigenen Kultur, wie wir aus der Studie von Birgitt Haller kennen. Gewalt an Frauen kennt keine Nationalität, Religion und Herkunft. Gewalt an Frauen ist ein globales Problem und daher auch kein importiertes Problem.
Jede Frau kann Opfer eines Femizids werden, egal wie alt sie ist, woher sie kommt, wo und was sie arbeitet, welchen Beruf sie nachgeht und welchen sozialen Status sie hat.
Die Hauptursachen sind auch nicht Eifersucht, Liebe und Leidenschaft. Das sind lediglich die Tatmotive, die die Gewalttäter angeben. Aber kein Mann tötet aus Liebe und Leidenschaft, sondern weil er mit Verlusten, Trennung und Zurückweisungen nicht zurechtkommt.
Die Hauptursachen sind auch nicht Alkohol oder Drogen,
nein, das Problem liegt in unserem eigenen patriarchalen System.
Gewalt an Frauen ist ein gesellschaftspolitisches Problem, vor allem aber ein Männerproblem und der Ausdruck eines tief verankerten patriarchalen Systems.
2013 hat Österreich die Istanbul Konvention ratifiziert und sich verpflichtet alles zu tun, um jede Frau bestmöglichst zu schützen und zu unterstützen. Durch die Istanbul Konvention hat Österreich einen neuen Auftrag in der Gewaltprävention bekommen.
Die Istanbul Konvention fordert Österreich und alle Mitgliedsstaaten auf, ein Gesamtkonzept und einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, den für die Prävention von Gewalt an Frauen benötigt es eine tiefgreifende Veränderung des Verhaltens der Allgemeinbevölkerung. Geschlechterstereotype müssen überwunden und die Sensibilisierung der Bevölkerung müssen gefördert werden. Die Istanbul Konvention weist konkret darauf hin, dass alle Behörden und Mitglieder der Gesellschaft aktiv zur Verhütung von Gewalt an Frauen beitragen sollen.
Dazu benötigt es einen ganzheitlichen Ansatz!
Wir fordern alles und möglichst kurzfristig:
- Volle Umsetzung der ratifizierten Istanbul Konvention
- Gesamtstrategie und ganzheitlichen Ansatz gegen Gewalt an Frauen und Femizide: Die Regierung, alle Ministerien, Landesregierungen, Städte und Gemeinden müssen gemeinsam wirksame, nachhaltige Maßnahmen gegen Gewalt setzen
- Krisengipfel gegen Femizide und Männergewalt an Frauen
- Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen
- Volle Investition in die Gleichstellung und Gewaltprävention: Mindestens 250 Millionen Euro jährlich und Aufstockung von mehr als 3000 Vollzeitarbeitsplätze in der Gewaltpräventionsarbeit
- Verpflichtende Trainings und Dauersensibilisierung aller Behörden (Justiz, Polizei, Kinder und Jugendhilfe, etc.)
- Flächendeckender Ausbau an Primärprävention/Dauerbewusstseinsarbeit durch „StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“ in allen Gemeinden und Städten.
- Dazu gehört auch das verstärkte Engagement von Männern, die sich in der Gewaltprävention freiwillig oder hauptamtlich engagieren.
Nie wieder Femizide! Schluss mit dem Patriarchat!
- Keine Frau darf in Angst und Panik leben
- Jede Frau muss sicher und gewaltfrei zu Hause leben können
- Keine Frau soll flüchten müssen vor einem Gewalttäter
- Jede Frau muss sicher leben können in Österreich
Es gibt eine Definition über Femizide
Femizide sind Frauenmorde. 2023 verzeichnete Österreich sechsundzwanzig Femizide und einundfünfzig Mordversuche. Auch das Jahr 2024 hat wieder mit zehn Mordversuchen und sieben brutalen Femiziden begonnen, darunter war auch ein dreizehnjähriges Mädchen, das von seinem Vater getötet wurde. Seit 2018 haben wir bereits hundertvierundvierzig Femizide.
Femizide zählen zu den größten Hassverbrechen gegen Frauen. Sie sind vorsätzliche Tötungen an Frauen durch Männer. Frauen werden getötet aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von “Verstößen” gegen die traditionellen sozialen und patriarchalen Rollenvorstellungen.
Die Autorin

Mag.a Maria Rösslhumer, Politikwissenschaftlerin, langjährige Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF), Leiterin der Frauenhelpline gegen Gewalt (0800/222 555) und Onlineberatung www.haltdergewalt.at bis Dez. 2023. Von 1997-2017 Geschäftsführerin des Vereins WAVE (Women Against Violence Europe), des Europäischen Netzwerks gegen Gewalt an Frauen und Kindern. Vorstandsmitglied des Österreichischen Frauen@rings und Mitbegründerin des Vereins OBRA (ONE BILLION RISING AUSTRIA), Vorstandsmitglied von MAMANET Austria, Trainerin, Gender- und Gewaltschutzexpertin. Gründerin von StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt und beauftragte StoP-Koordinatorin von StoP in Österreich www.stop-partnergewalt.at. Erreichbar unter www.die-stop-expertin.org. Maria.roesslhumer@stop-partnergewalt.org Tel: 0660 802 6388
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