Liebe Justizministerin, liebe Frauenministerin,
liebes Bundesministerium für Familie und Jugend, liebe Politiker und Juristen!
Wir sind betroffene Mütter in hochstrittigen Familienrechtsverfahren und möchten Ihnen allen unseren immensen Leidensdruck näherbringen.
Wir möchten uns an alle Entscheidungsträger wenden, die mit der Ausarbeitung und Etablierung der geplanten Kindschaftsrechtsreform vertraut sind, deren Auswirkungen das Leben unserer Kinder massiv beeinträchtigen wird.
Bereits jetzt haben wir an den Familiengerichten unfassbare Auslegungen und Praktiken erlebt: Uns wurde mit pauschalen, mütterfeindlichen Vorurteilen begegnet, unsere Kinder wurden zu Kontaktrechtsregelungen gezwungen; wir wurden bei Missbrauch und Gewalt nicht nur nicht ernst genommen, sondern den Tätern weiterhin hilflos ausgeliefert. Vielen von uns wurde trotz größtmöglicher Kooperationsbereitschaft und Unterwürfigkeit mit Konsequenzen bishin zur Kindesabnahme gedroht.
An den Familiengerichten wird – wie mit der ausgearbeiteten Novelle – mit Schlagworten hantiert: Gleichberechtigung, Kindeswohl, elterliche Verantwortung. Doch wenn unsere Kinder ihre Meinung, ihren Willen und ihre Ängste äußern, werden sie nicht ernst genommen. Ihnen wird ein fiktiver und pauschaler Kindeswille unterstellt: Kontakt zum anderen Elternteil um jeden Preis, komplett unabhängig davon, wie sich dieser Elternteil verhält.
Insbesondere psychische Gewalt wird vollkommen bagatellisiert:
Am 11. Mai 2011 wurde das “Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt” von 13 Staaten, unter anderem auch Österreich, in Istanbul unterzeichnet. Österreich ratifizierte die Konvention am 14. November 2013, am 1. August 2014 trat sie in Kraft. Der Begriff „häusliche Gewalt“ wurde definiert als alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen. Trotz dieser Feststellungen wird Gewalt insbesondere in pflegschaftsrechtlichen Verfahren, weder methodisch ernsthaft untersucht noch in Entscheidungen berücksichtigt.
Dass wir Mütter in einer subjektiven Rolle stecken, ist nachvollziehbar. Doch die Familiengerichte nehmen selbst fundierte Berichte von PädagogInnen, LehrerInnen und KinderpsychologInnen, die die betroffenen Kinder oftmals bereits jahrelang begleiten, nicht ernst. Wir Mütter werden beschuldigt, an allem, was nicht den Vorstellungen der Familiengerichte entspricht, schuld zu sein und uns werden misogyne Narrative (rachsüchtige Frauen, bindungsintolerante Mütter, Hysterie, etc.) unterstellt.
Die geplante Novelle bedeutet für uns:
- Unsere Lebenssituationen werden sich verschärfen. Eine freie und selbstbestimmte Lebensplanung wird de facto durch noch exzessivere Mitspracherechte in Sachen Obsorge und Kontaktrechtsregelungen eingeschränkt werden. Eine Jobchance in einem anderen Bundesland, ein Umzug oder simple Urlaubsreisen werden vielen Müttern gar nicht mehr möglich sein, ohne erneut den Anfeindungen des Expartners ausgeliefert zu werden.
Dabei können wir uns bereits jetzt nicht einmal mehr auf die aktuelle Rechtslage oder den persönlichen „Status Quo“ verlassen: Alleinerziehende Mütter, selbst in Fällen, wo die Väter aktuell gar keinen Kontakt/Bindung zum Kind haben, können ihr Leben nicht mehr frei vom Ex-Partner gestalten. Bereits jetzt sind Mütter eingeschränkt, Jobs oder einen neuen Wohnsitz anzunehmen. Gleichzeitig bedeutet das für viele bereits gewaltbetroffene Mütter und Kinder: Umso näher man dem Ex-Partner kommt (beispielsweise durch einen Job oder Haus-Bau in die Nähe des Ex-Partners), desto intensiver ist man dem Ex-Partner und womöglich Zwangs-Kontaktregelungen (wie der Doppelresidenz) ausgeliefert. Keine Entscheidung, egal zu welcher Lebenslage, kann mehr frei und selbstbestimmt getroffen werden – immer mit der Angst im Hinterkopf, was all dies familienrechtlich für die Kindheit des Kindes und Bewältigung des Alltags (beispielsweise bei Übernahme von Wegstrecken) bedeuten könnte.
Bei Urlauben in Nicht-EU-Länder werden bei gemeinsamer Obsorge die Einverständniserklärungen des anderen Elternteils empfohlen – doch was alleine das bei hochstrittigen Elternteilen bedeutet, ist offenbar vielen Akteuren der neue Novelle nicht klar. Jede Unterschriftsanfrage oder gerichtlicher Antrag auf Unterschriftenersatz bedeutet nicht nur einen enormen Verwaltungs- und Zeitaufwand, sondern jedes Mal einen neuen Kampf, dem Expartner ausgeliefert zu sein.
- Unsere finanzielle Situation wird sich weiterhin verschlechtern, indem Unterhaltszahlungen gekürzt oder gänzlich wegfallen werden. Im Gegenzug dazu gibt es für uns Mütter weder einen Rechtsanspruch auf Pensionssplitting, noch Ausfallszahlungen für entgangenes
Einkommen in Karenz- und Betreuungszeiten. Viele Väter werden ausschließlich aufgrund monitärer Motive Betreuung einklagen.
Exakt diese finanzielle Mitbeteiligung der Väter wird uns Müttern vorgeworfen: Es würde nur ums Geld gehen („geldgierige Frauen“). Dabei wären gerade wir gewaltbetroffenen Mütter sogar bereit, gänzlich auf Unterhalt zu verzichten – wenn wir denn dann wenigstens mit unseren Kindern friedlich und gewaltfrei leben könnten. Doch selbst Unterhaltsverzicht wird uns negativ ausgelegt – sowohl in weiterer Folge bei sozialrechtlichen Ansprüchen (beispielsweise Unterhaltsvorschuss, aber auch bei diversen Beihilfen), als auch in pflegschaftsrechtlichen Verfahren als Mittel zur Entfremdung.
- Kinder werden noch stärker belastet durch Zwangsregelungen, die sie zu Kontakten zwingen.
Selbst bei starken Auffälligkeiten, psychischen und körperlichen Problemen, die eindeutig nachgewiesen werden können, wird allen Kindern ein pauschales Familiensystem aufgedrängt. Umso kleiner und jünger die Kinder sind, desto weniger spricht man ihnen generell einen Willen und eine eigene, unabhängige Gefühlslage zu. Diese Auslegung ist bereits jetzt Standard bei den Familiengerichten.
Verweigern die Kinder den Kontakt, wird sowohl ihnen als auch den Müttern als Konsequenz eine Kindesabnahme von der Mutter angedroht. Diese Drohung traumatisiert nicht nur Mütter, sondern natürlich auch die Kinder selbst.
- Gewaltschutz wird weiter unterhöhlt: Psychische Gewalt fließt bei Entscheidungen nicht ein, strafrechtliche Ermittlungen werden bereits jetzt in den größten Fällen eingestellt.
Institutionelle Gewalt findet durch eine gezielte Täter-Opfer-Schuld-Umkehr statt; Müttern werden misogyne Narrative (durch Attribute wie hysterisch, übertrieben, überemotional, rachsüchtig uvm.) unterstellt.
Das individuelle Kindeswohl kann nicht mehr durchgesetzt werden und fällt der Durchsetzung von neuen Standard-Betreuungsmodellen wie der Doppelresidenz zum Opfer.
- Kontinuitätsprinzip: Die Novelle greift massiv in das Leben von Familien ein, die bereits ein funktionierendes Betreuungssystem haben, mit welchem es den Kindern gut geht. Eine einzige Partei – meist die Väter – können dieses System nun kippen und allein aufgrund ihrer genetischen Abstammung zum Kind Sorgerechte und Kontaktrechte einfordern.
Dysfunktionale, kindeswohlschädliche Konstellationen werden durch die bereits stattfindende Judikatur nicht vermieden, sondern sogar gefördert und durch die Novelle weiter intensiviert.
- Doppelresidenz: Die Doppelresidenz soll sich künftig als neues Standard-Familiensystem etablieren. Das Problem ist jedoch, dass die Doppelresidenz offenbar auch ohne vorherige Kontinuität und unter Zwang gerade in hochstrittigen Fällen durchgesetzt werden soll. Kinder werden Konflikten noch intensiver ausgesetzt werden und selbst Kinder und Familien, die allein aufgrund ihrer Persönlichkeit keine zwei Lebensmittelpunkte haben möchten, werden enormen psychischen Schaden durch solche Zwangsregelungen davontragen.
Wesentliche Merkmale von Hochstrittigkeit sind nicht nur jahrelang andauernde Gerichtsverfahren, sondern auch keine vorhandene Sachebene bei der Beurteilung von Notwendigkeiten und einer gemeinsamen Entscheidungsfindung. Bei einer vorliegenden Strittigkeit wird das Kindeswohl somit durch die Doppelresidenz massiv bei der Alltagsplanung und Planung wichtiger Termine, wie beispielsweise Arzttermine, gefährdet, da es der notwendigen sachlichen Kommunikation zwischen den Eltern fehlt.
- Namensgebung: Bereits jetzt zeigt sich die Tendenz, Kindern Doppel-Familiennamen zu geben, selbst wenn der Lebensmittelpunkt ganz unbestritten bei nur einem Elternteil liegt und sich Kinder ganz klar dagegen äußern.
Wir haben bereits Fälle wie diesen: 11-jährige Kinder, die bereits ihr Leben lang einen Familiennamen getragen haben und damit zufrieden waren, selbst wenn sie sich gegen eine Namensänderung und lange Nachnamen aussprechen, werden zwangsumbenannt durch richterliche Entscheidungen, die sich darauf stützen, es dem klagenden Elternteil recht machen zu wollen; selbst dann, wenn es kinderpsychologische Berichte gibt, die klar dagegen sprechen und schwere Identitätskrisen zu befürchten sind. Dadurch entstehende Loyalitätskonflikte werden durch die Vorgehensweisen der Gerichte nicht nur bestärkt, sondern sind oftmals vor der gerichtlichen Tätigkeit gar nicht vorhanden gewesen. Selbst wenn Richter*innen in ihren Beschlüssen feststellen, dass eine Namensänderung nur aufgrund des Antrages eines Elternteils beschlossen wird, und nicht aufgrund eines etwaigen Kinderwillens, werden derart identitätseingreifende Entscheidungen gefällt und das Kindeswohl hinter dem Elternwillen hintangestellt.
Einen besonders beispielhaften Fall für all diese Problematiken stellt diese Geschichte an:
Eine gewaltbetroffene Mutter wendet sich an den Gewaltschutz und eine Mütter-Selbsthilfegruppe. Der Kindesvater ist physisch und psychisch gewalttätig, auch gegenüber dem 5-jährigen Kind. Die Mutter fragt, wie sie vorgehen soll, was sie zu erwarten hat und welche Möglichkeiten es nach einer
Trennung gäbe, um das Kind zu schützen. Man muss ihr leider mitteilen: Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass dem Kindesvater auch weiterhin aufgrund der Kontinuität ein weitgehendes Kontaktrecht zugesprochen werden würde. Die Mutter fragt, ob sie diese Treffen begleiten könne, um das Kind zu schützen – doch leider muss man ihr mitteilen, dass es unrealistisch ist, diese Kontaktform dauerhaft durchzubekommen. Auch das gemeinsame Sorgerecht ist heutzutage kaum noch vermeidbar.
Die betroffene Mutter lebt auch heute noch gemeinsam mit dem gewalttätigen Vater zusammen und begründet dies so: „So kann ich mich und das Kind wenigstens bestmöglich schützen, mich schützend vor sie stellen, und anwesend sein, wenn meinem Kind Leid angetan wird. All das wäre nach einer Trennung gar nicht mehr möglich.“
Bereits jetzt müssen sich Mütter vor den Gerichten und Familiengerichtshilfen anhören: „Die Gewalt ist irrelevant. Das ist Vergangenheit.“ Sogar dann, wenn Handgreiflichkeiten und Gewaltvorfälle noch während eines Verfahren oder gar am Tag vor einer Verhandlung stattgefunden haben, werden diese Vorfälle als unbedeutend oder gar „gelogen“ eingestuft – ohne es überhaupt einer Prüfung zu unterziehen. Selbst Polizei-Protokolle oder Berichte dahingehend werden seitens der Familiengerichte noch nicht einmal angefordert.
Es mag Außenstehenden nicht klar sein, was all das für das Leben gewaltbetroffener Familien bedeutet – das ist uns klar, denn: Selbst wir kommen uns vor wie im falschen Film. Selbst wir hätten es niemals für möglich erachtet, dass ein System nicht nur gegen solche Gewaltdynamiken nicht vorgeht, sondern sich auch noch aktiv daran beteiligt und Strukturen schafft, die die Täter unterstützen – Stichwort: Institutionelle Gewalt.
Es benötigt mehr Schulungen zu Gewaltdynamiken für RichterInnen, Kinderbeistände, PsychologInnen. Besonders aber ist es endlich notwendig, dass alle Akteure ihren Hausverstand einsetzen und Strukturen schaffen, die es Frauen und Kindern ermöglicht, frei, friedlich und gewaltfrei leben zu können.
Wir und unsere Kinder bitten Sie – nein, wir flehen Sie an, die Novelle zu überdenken, die bereits vorhandenen Missstände endlich zu beseitigen und dafür Sorge zu tragen, Gewalt und misogyne Bedrohungen endlich frühzeitig einzudämmen, statt unter dem Deckmantel von Gleichberechtigung durch solche Novellen noch zu verschärfen.
Eine Zusammenschrift von Frauen aus quer Österreich
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