Artikel von Mag.a Gudrun Moser-Reisinger
Rechtliche Hinweise und Handlungsmöglichkeiten für betroffene Eltern
Die Abnahme eines Kindes durch die Kinder- und Jugendhilfe (KJH) stellt einen tiefgreifenden Einschnitt in das Familienleben dar. Für betroffene Eltern ist dies häufig mit Hilflosigkeit, Angst und großem emotionalem Stress verbunden. Umso wichtiger ist es, die rechtlichen Grundlagen und Handlungsmöglichkeiten zu kennen – und rasch zu handeln.
1. Wann schreitet die Kinder- und Jugendhilfe ein?
Die Kinder- und Jugendhilfe ist verpflichtet, einzuschreiten, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Eine solche Gefährdung liegt gemäß § 138 ABGB dann vor, wenn durch das Verhalten der Eltern oder durch das Umfeld eine ernsthafte Beeinträchtigung der körperlichen, psychischen oder sozialen Entwicklung des Kindes droht.
Allerdings zeigt die Praxis auch, dass es in manchen Fällen zu einer Kindesabnahme kommt, ohne dass eine akute Kindeswohlgefährdung vorliegt. Gründe dafür können unter anderem sein:
- Unbegründete oder anonyme Gefährdungsmeldungen, z. B. durch Nachbarn oder Angehörige
- Kulturelle Unterschiede oder abweichende Erziehungsvorstellungen werden mitunter als problematisch gewertet
- Ambulante Unterstützungsmaßnahmen, wie Familienhilfe oder Hausbesuche, werden von betroffenen Eltern als belastend oder übergriffig empfunden
- Misstrauen oder Konflikte mit Sozialarbeiter*innen können zur Eskalation führen
Typischer Ablauf bei Kindesabnahme:
- Gefährdungsmeldung (z. B. durch Ärzt*innen, Schulen, Privatpersonen)
- Abklärung durch die Kinder- und Jugendhilfe
- Bei akuter Gefahr: Sofortige vorläufige Unterbringung („Gefahr in Verzug“)
- Antrag auf gerichtliche Genehmigung durch das zuständige Pflegschaftsgericht
- Weitere Entscheidung des Gerichts über den Verbleib des Kindes
2. Erste Schritte nach der Kindesabnahme
Wenn ein Kind abgenommen wurde, sollten Eltern schnell und strukturiert vorgehen. Die ersten Schritte sind entscheidend für den weiteren Verlauf.
Was Eltern sofort tun sollten:
- Kontakt mit der Kinder- und Jugendhilfe aufnehmen: Erfragen, warum die Maßnahme gesetzt wurde und welche Bedingungen für eine Rückführung erfüllt werden müssen.
- Rechtsberatung einholen: Eine anwaltliche Vertretung durch eine*n erfahrene*n Familienrechtsanwält*in ist empfehlenswert. Auch Organisationen wie FEM.A bieten eine kostenlose Erstberatung an.
- Kooperation mit der KJH: Ein sachlicher und kooperativer Umgang mit den Sozialarbeiter*innen kann hilfreich sein. Bei schwerwiegenden Konflikten sollte der Weg über das Gericht gewählt werden.
- Dokumentation: Alle Gespräche, Bescheide und Empfehlungen sollten sorgfältig dokumentiert werden.
3. Rechtliche Möglichkeiten gegen die Kindesabnahme
Eltern haben das Recht, gegen eine Kindesabnahme vorzugehen. Dabei bestehen vorrangig folgende rechtliche Wege:
- Antrag auf Überprüfung der Maßnahmen des Jugendhilfeträgers auf Zulässigkeit, gestützt auf § 107a AußStrG. Das Pflegschaftsgericht prüft, ob die Abnahme rechtmäßig war und ob Alternativen möglich gewesen wären
- Antrag auf Rückführung des Kindes in die Pflege und Erziehung der Eltern
→ Dies ist insbesondere dann möglich, wenn sich die familiäre Situation verbessert hat oder die Abnahme unrechtmäßig erfolgte. - Beantragung eines familienpsychologischen Gutachtens zur Klärung der Erziehungsfähigkeit
→ Die Gutachtenerstellung dauert häufig mehrere Monate – eine gute Vorbereitung ist wichtig (siehe z. B. Materialien von FEM.A).
→ Weiters sollte man sich auch Empfehlungen zu familienpsychologischen Sachverständigen einholen, um gegebenenfalls auch Privatgutachten in Auftrag zu geben.
4. Zentrales Problem: Bindungen in der Pflege
Ein großes Hindernis für eine Rückführung besteht darin, dass Kinder rasch Bindungen zu Pflegepersonen aufbauen. Die Kinder- und Jugendhilfe oder Sachverständige argumentieren dann oft mit dem “Bindungsschutz” und dem „Wohl des Kindes“, was eine Rückführung massiv erschwert.
Tipp aus der Praxis:
- Frühzeitige Beantragung einer Verlängerung der Krisenpflegezeit
→ In der Regel bleiben Kinder nach einer Abnahme ca. 6–8 Wochen in der Krisenpflege. Danach erfolgt die Unterbringung in einer Pflegefamilie oder Wohngemeinschaft. - Wird bei Gericht beantragt, dass die Frist für die Krisenpflege verlängert werden soll, bis das familienpsychologische Gutachten eingeholt wird, kann in dieser Zeit das Gutachten eingeholt werden – ohne dass das Kind bereits schon in eine Pflegefamilie wechseln muss und schon neue Bindungen in einer Pflegefamilie aufbaut (die Krisenpflege ist immer nur eine Übergangslösung – hier stellt sich die Bindungsproblematik nicht), die eine Rückführung erschweren oder unmöglich machen.
5. Maßnahmen zur Rückführung
Die KJH schlägt meist bestimmte Maßnahmen vor, um eine Rückführung zu ermöglichen. Diese sollten ernst genommen und aktiv mitgestaltet werden:
- Teilnahme an Elternberatungen und Erziehungstrainings
- Psychologische oder therapeutische Begleitung (z. B. bei psychischen Erkrankungen oder Suchtproblematiken)
- Verbesserung der Wohn- und Lebensverhältnisse (z. B. stabiler Wohnraum, finanzielle Absicherung)
- Regelmäßiger begleiteter Kontakt zum Kind – dieser kann schrittweise ausgeweitet werden
- Kooperation mit Sozialarbeiter*innen und Gericht – lösungsorientiertes Verhalten wird oft positiv gewertet
6. Unterstützungsmöglichkeiten für betroffene Eltern
In dieser schwierigen Situation ist es wichtig, Hilfe anzunehmen. Folgende Stellen bieten Unterstützung:
- Rechtsanwält*innen für Familienrecht
- Vereine wie FEM.A,
- Kinder- und Jugendanwaltschaft (KiJA): Kostenlos, vertraulich, österreichweit erreichbar
- Familienberatungsstellen (z. B. von Caritas, Diakonie, Volkshilfe)
- Selbsthilfegruppen – Austausch mit anderen Betroffenen
- Verfahrenshilfe: Bei fehlenden finanziellen Mitteln kann beim Bezirksgericht ein Antrag gestellt werden (§§ 63 ff ZPO), um gerichtliche und anwaltliche Kosten abzudecken
7. Fazit
Die Abnahme eines Kindes ist ein schwerwiegender Eingriff – sowohl rechtlich als auch emotional. Doch Eltern sind nicht rechtlos. Es gibt konkrete Schritte und rechtliche Möglichkeiten, um auf eine Rückführung hinzuwirken.
Wichtig ist:
- Frühzeitige Rechtsberatung
- Aktive, dokumentierte Mitwirkung
- Strategisches Vorgehen bei Behörden- und Gerichtsverfahren
- Geduld und Ausdauer – Rückführungsverfahren brauchen oft Zeit, sind aber möglich
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