Warum es genau jetzt eine Unterhaltsgarantie braucht

Lange Zeit stand die Unterhaltsgarantie für Kinder von Alleinerzieherinnen in diversen Regierungsprogrammen – zur Umsetzung gelangte sie nie. Zu unserer großen Enttäuschung wurde die Unterhaltsgarantie von Türkis-Grün komplett abgesagt: sie steht nicht einmal mehr im Regierungsprogramm. Familienministerin Susanne Raab nannte den Unterhaltsvorschuss in der Fragestunde im Parlament Mitte Dezember 2022 ein „bewährtes Instrument“. Wir sagen: Wenn vier von fünf Kindern, die keinen Unterhalt und keine Halbwaisenpension beziehen, auch keinen Unterhaltsvorschuss bekommen, dann ist das Gesetz ein Pfusch! Wir brauchen JETZT die Unterhaltsgarantie bis zum Ende der Ausbildung unserer Kinder!

Seit der Unterhaltsbefragung 2021 durch die Statistik Austria ist bekannt: Nur die Hälfte aller Kinder von Alleinerzieherinnen in Österreich bekommt Geldunterhalt von ihrem Vater. Aber auch wenn der Vater Unterhalt bezahlt, ist die Höhe des Unterhalts unzureichend. Lagen die Kinderkosten laut Kinderkostenanalyse 2021 durchschnittlich (Median) bei 900 EUR in einem Ein-Eltern-Haushalt, so bekamen die Kinder, die Unterhalt bezogen im Schnitt nur 305 EUR. Das ist etwa ein Drittel der tatsächlichen Kosten. Die wenigen Kinder mit Anspruch auf Unterhaltsvorschuss bezogen im Durchschnitt nur 250 EUR pro Monat. Zieht man die in der Kinderkostenanalyse errechneten Konsumeinheiten heran, so lebten 2021 nach unseren Schätzungen etwa 70% aller Alleinerzieherinnen und ihre Kinder in Armut. Die Anzahl der armutsgefährdeten Kinder und Alleinerzieherinnen wird durch die falschen Konsumeinheiten, die offiziell angesetzt werden, grob unterschätzt, die Armut dadurch unsichtbar gemacht.

Die sich überlappenden Krisen dürften die Situation noch schlimmer gemacht haben. Ende April wird die neue EU SILC Befragung von der Statistik Austria für 2022 publiziert. Darin wird sich abzeichnen, wie sehr die COVID Krise und die Inflation Alleinerzieherinnen getroffen haben. Wir fürchten, dass die Beschäftigungsquote zurückgegangen ist, da viele Frauen, die in Kurzarbeit waren oder ihre Jobs verloren haben, nicht wieder in den Arbeitsmarkt gefunden haben – trotz des guten Arbeitsmarkts. Frauen sind in Krisen die ersten, die gehen, und bei guter Konjunktur die letzten, die davon profitieren. Das ist nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Kinderbildungseinrichtungen so. Auch die Geldunterhaltszahlungen für die Kinder hinken in der Höhe der Inflation und den Gehaltserhöhungen nach. Während viele Väter den Kindesunterhalt während der COVID Krise aufgrund von Einkommensausfällen herabgesetzt haben, ist es für Alleinerzieherinnen umso schwieriger und langwieriger, den Unterhalt für ihre Kinder hinaufzusetzen, wenn das Einkommen des Vaters wieder steigt. Die Inflation in Folge des Ukrainekriegs hat besonders für die Kinder von Alleinerzieherinnen fatale Folgen. Schon 2021 lebten 70% am Limit. Durch die hohen Preise in Preiskategorien, die Ein-Eltern-Familien besonders treffen wie Lebensmittel, Mieten und Energie, hat sich das verfügbare Einkommen nochmals drastisch reduziert. Viele, die vorher noch halbwegs über die Runden kamen, konnten sich 2022 den Einkauf nicht mehr leisten. Durch die falsch angesetzte Armutsgefährdungsgrenze, die oft als Einkommensgrenze für Förderungen und Beihilfen herangezogen wird, hatten etwa 30% der Alleinerzieherinnen, die armutsgefährdet sind, keinen Zugang zu diesen Förderungen.

Der fehlende Unterhalt stellt eine Form der Gewalt dar: finanzielle Gewalt. Kinderarmut hat weitreichende und lebenslang anhaltende Folgen: schlechtere Bildung, schlechtere Gesundheit und schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt. Die volkswirtschaftlichen Kosten, die dadurch langfristig entstehen, gehen zulasten aller Steuerzahler*innen in Österreich. Der fehlende Kindesunterhalt wird oft von Alleinerzieherinnen durch erhöhte Erwerbstätigkeit und gleichzeitig hohem Verzicht wettgemacht. Sie sind dadurch dauerhaft überlastet, haben weniger Zeit für ihre Kinder als Mütter in Paarbeziehungen und sind trotzdem arm. Die Leidtragenden sind die Kinder. Wir sehen es als Aufgabe des Staates, das Kindeswohl zu wahren und diese finanzielle Gewalt von den Kindern abzuwehren. Diese Aufgabe wird durch den Unterhaltsvorschuss nicht erfüllt.

Wir fordern eine staatliche Unterhaltsgarantie für alle Kinder in Ein-Eltern-Haushalten, die in Österreich leben, bis zum Ende der Ausbildung! Jedes Kind einer Alleinerzieherin soll zumindest die tatsächlichen und valorisierten Kinderkosten zur Verfügung haben. In einem der reichsten Länder der Welt können wir uns Kinderarmut nicht leisten. Unsere Kinder sind keine Kinder zweiter Klasse!

Wie die Unterhaltsgarantie funktionieren soll

Es hat schon in der Vergangenheit parlamentarische Anträge für die Unterhaltsgarantie gegeben. Wir fordern, dass jedes Kind in einer Ein-Eltern-Familie, mindestens die tatsächlichen Kinderkosten jeweils valorisiert, mit der Inflationsrate und entsprechend dem Alter zur Verfügung haben muss:

AlterMonatliche Kinderkosten in Ein-Elternhaushalten 2023
0-5 Jahre550 EUR
6-9 Jahre838 EUR
10-14 Jahre1 100 EUR
15-19 Jahre1 388 EUR
20-24 Jahre1 703 EUR

In Abzug gebracht werden können von diesen Kosten die tatsächlich erhaltenen Beihilfen und Absetzbeträge sowie Unterhalt und Ersatzleistungen, die im Haushalt bezogen werden, wo das Kind hauptsächlich wohnt. Dies sind etwa der tatsächlich vom betreuenden Elternteil bezogene Familienbonus, Unterhaltsvorschuss, eigenes Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze, Studienbeihilfe, Kindesunterhalt, Halbwaisenpension, Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag, Alleinerzieherabsetzbetrag.

Ein Beispiel für die Unterhaltsgarantie, für das Kind einer Alleinerzieherin, das gar keinen Unterhalt oder Ersatzleistung bezieht, abhängig vom Alter:

 0-2 Jahre3-5 Jahre6-9 Jahre10-14 Jahre15-19 Jahre20-24 Jahre
Tatsächliche Kinderkosten 2023550 EUR550 EUR838 EUR1 100 EUR1 388 EUR1703 EUR
Familienbeihilfe121 EUR129 EUR129 EUR150 EUR150 EUR175 EUR
Kinderabsetzbetrag62 EUR62 EUR62 EUR62 EUR62 EUR62 EUR
Alleinerzieherabsetzbetrag43 EUR43 EUR43 EUR43 EUR43 EUR43 EUR
Familienbonus Mutter167 EUR167 EUR167 EUR167 EUR167 EUR54 EUR
Studienbeihilfe     450 EUR
Unterhaltsgarantie158 EUR150 EUR438 EUR678 EUR966 EUR919 EUR

Ein Beispiel für die Unterhaltsgarantie, für das Kind einer Alleinerzieherin, das Unterhalt bezieht, abhängig vom Alter und nach der Matura in einem anderen Bundesland eine Ausbildung absolviert:

 0-2 Jahre3-5 Jahre6-9 Jahre10-14 Jahre15-19 Jahre20-24 Jahre
Tatsächliche Kinderkosten 2023550 EUR550 EUR838 EUR1 100 EUR1 388 EUR1703 EUR
Familienbeihilfe121 EUR129 EUR129 EUR150 EUR150 EUR175 EUR
Kinderabsetzbetrag62 EUR62 EUR62 EUR62 EUR62 EUR62 EUR
Alleinerzieherabsetzbetrag43 EUR43 EUR43 EUR43 EUR43 EUR43 EUR
Familienbonus Mutter83 EUR83 EUR83 EUR83 EUR83 EUR27 EUR
Familienbonus Vater83* EUR83* EUR83* EUR83* EUR83* EUR27 EUR
Geldunterhalt Vater305 EUR305 EUR305 EUR305 EUR305 EUR305 EUR
Geldunterhalt Mutter     200 EUR
Unterhaltsgarantie0 EUR0 EUR216 EUR456 EUR745 EUR864 EUR

* Der Familienbonus des Vaters kann nicht dem Kind zugerechnet werden, da es nicht im gemeinsamen Haushalt mit dem Vater lebt und daher nicht davon profitiert.

Einkommensgrenze

Wir fordern außerdem, dass als Einkommensgrenze für den Bezug der Unterhaltsgarantie das Einkommen in der Höhe der 75zigsten Perzentile, der ganzjährig Vollzeit beschäftigten Männer herangezogen wird. Alleinerzieherinnen dürfen nicht erst zu Sozialfällen gemacht werden und gezwungen werden, ihre gesamten Ersparnisse aufzubrauchen, bevor ihre Kinder Anspruch auf Unterhalt bekommen. Wir haben an den hohen Kinderkosten gesehen, dass ein Leben in Würde mit einem durchschnittlichen Einkommen einer Frau (Gender Pay Gap!) nicht möglich ist, wenn ein Kind keinen oder zu wenig Unterhalt bezieht. Unsere Kinder sind keine Kinder zweiter Klasse!

Abgrenzung zur Kindergrundsicherung

Wir unterstützen und begrüßen die Kindergrundsicherung, die sich allerdings an den Kinderkosten von Paarfamilien orientiert. Wir haben schon bei der Armutsgefährdungsgrenze gesehen, dass die Situation von Alleinerzieherinnen deutlich prekärer ist, weshalb es eines eigenen, treffsicheren Instruments bedarf. Die Situation der Alleinerzieherinnen unterscheidet sich von Paarfamilien auch in der Care-Arbeit. Während Alleinerzieherinnen laut Unterhaltsbefragung 2021 kaum Unterstützung von den Vätern ihrer Kinder erfahren, kann die Sorgearbeit in Paarbeziehungen besser aufgeteilt werden. Insgesamt waren zum Beispiel während der Corona Zeit die Alleinerzieherinnen diejenigen, die am meisten von allen Haushaltsformen insgesamt (Sorgearbeit und Erwerbsarbeit gemeinsam) gearbeitet haben. Trotzdem hatten sie am wenigsten Einkommen bei den höchsten Kosten.

Quellen:

AK Wien, Katharina Mader, Judith Derndorfer, Franziska Disslbacher, Vanessa Lechinger und Eva Six: Der Lockdown und die Unvereinbarkeit von Home-Office und Kinderbetreuung, Wien 2020;

https://www.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/arbeitundsoziales/familie/Homeoffice_und_Kinderbetreuung_2020.pdf (abgerufen am 10.03.2023)

Statistik Austria: Kinderkostenanalyse 2021, Endbericht Methodische Langfassung. Wien, Dezember 2021, verfügbar unter https://statistik.gv.at/fileadmin/pages/339/Kinderkostenanalyse_2021_MethodischeLangfassung.pdf, abgerufen am 27.02.2023

Göttlinger, Susanne; Statistik Austria; Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK): Ergebnisse der Unterhalts-Befragung; Wien, 2021; verfügbar unter https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Ergebnisbericht_Unterhaltsbefragung.pdf, abgerufen am 27.02.2023

Statistik Austria: EU SILC Tabellenband 2021; Wien, 2022; verfügbar unter https://www.statistik.at/ueber-uns/erhebungen/personen-und-haushaltserhebungen/eu-silc-einkommen-und-lebensbedingungen , abgerufen am 27.02.2023


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